Das Zukunftsinstitut und Hanni Rützler haben sich wieder Gedanken über die Zukunft des Essens gemacht. Sie konzentrieren sich in ihrer Analyse diesmal auf die Spitzengastronomie und leiten daraus Trends ab, von denen alle Gastronominnen und Gastronomen lernen können.
„Was sich in der Gastronomie durchsetzen wird, welche Themen die nächsten Jahre dominieren und welche Entwicklungen sie prägen werden, lässt sich gut an der höchsten kulinarischen Liga ablesen“, schreiben die Autoren Harry Gatterer und Hanni Rützler vom Zukunftsinstitut in ihrem aktuellen Whitepaper zu den „Gastrotrends“. Dort würden die Trends gesetzt, die dann auch von anderen Gastronominnen und Gastronomen aufgegriffen werden (können).
1. Die Zukunft der Gastronomie ist nachhaltig und ethisch verantwortungsvoll.
Das heißt es geht um Transparenz, Lieferketten, Tierwohl, Umwelt. Das führe zu „puren Prioritäten“, zur neuen Einfachheit, weniger Lebensmittelverschwendung, generell weniger Ressourcenverschwendung. Führende Restaurantführer zeichnen Nachhaltigkeit seit einigen Jahren mit grünen Sternen oder Hauben aus.
2. Die Suche nach Innovation und Effizienz spornt die Gastronomie an.
Immer mehr Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, neue Technologien, neue Kochtechniken, neue Lösungen im Gästemanagment führen zu mehr Effizienz und mehr Wirtschaftlichkeit. Denn gerade in der Topgastronomie kämpfen viele um’s nackte wirtschaftliche Überleben. Die Zeiten der Fantasiepreise sind vorbei – auch der üppigen Geschäftsessen. Das Businesslunch verlagert sich zunehmend in den Frühstücksbereich oder auf schnelle Mittagssnacks. Jüngere Geschäftsleute legen Wert auf Effizienz und Gesundheit, weniger Fleisch, mehr Innovation bei der Gemüseküche. Generell komme es in der Spitzengastronomie zu einer Abkehr von den nicht enden wollenden Degustationsmenüs. Das neue Motto sei: „Weniger ist besser“. Das rechne sich auch besser.
3. Tradition und Moderne gehen Hand in Hand.
Auch in der Spitzengastronomie, nicht nur im guten alten Wirtshaus, stehe das Handwerk zunehmend im Vordergrund. Dazu komme die Betonung von kultureller Authentizität, aber auch Originalität. Das führe durchaus zu Ambivalenzen. Die betont anti-traditionalistische Molekularküche ist nicht abgeschafft, aber sie hat längst ihre Führungsrolle verloren. Aber ihre einst revolutionären Techniken, ihr innovativer Umgang mit Geschmäckern und Texturen vereine sich jetzt mit den Traditionen. Hanni Rützler spricht von „Geschmacksharmonien“ statt „Geschmacksirritationen“, von einer reduzierten Komplexität am Teller.
Fleisch und Wein verlieren ihre Vorrangstellung. Statt mit exotischen Zutaten aus fernen Ländern zu prahlen, setzt die Spitzengastronomie jetzt auf regionale und saisonale Zutaten. Die in den Augen vieler Gäste durchaus exotisch sein können: Wildkräuter, Kohlrabi, vergessene Zutaten wie Rollgerste, heimische Käsesorten (Asmonte oder Rochus statt Parmesan), Wildpilze, neue heimische Süßwasserfischsorten wie Rotauge oder Schleie.
In Österreich beispielhaft können hier die Mostviertler Feldversuche genannt werden: Seit nunmehr sechs Jahren haben sich dort führende Gastronominnen und Gastronomen zusammengetan, um neue/alte/vergessene Kochtechniken zu erforschen und daraus neue kulinarische Erlebnisse zu kreieren. Da wird wieder gedörrt, am offenen Feuer gegart oder unter der Erde.
Überhaupt das Feuer erfreut sich nicht nur im Mostviertel zunehmender Beliebtheit. Flammen – nicht nur beim Barbecue – haben einfach etwas Archaisches. Der Faszination können sich nicht nur die Gäste kaum entziehen. Das führt dazu, dass immer mehr gesmokt wird. Rauch- und Röstaromen höchst erwünscht!
Der Trend zum Erlebnis ist ungebrochen – gerade in der Spitzengastronomie. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Küche, Kunst, Erzählung, Wissenschaft und Design. Ein Restaurantbesuch wird zum multisensorischen Erlebnis. Zu den Gewinnern zählen Restaurants mit Konzept und sozialen Aktivitäten, exzellentem Service und Storytelling.
Signature-Gerichte mit Geschichte sorgen für das Image, das lässt sich auch gut über Social Media kommunizieren.
„Die Top-Gastronomie muss sich verändern“, fordert Hanni Rützler: weniger exklusiv, mehr auf Augenhöhe, mit mehr Top-Köchinnen. Auch im Fine Dining werde über Unisextoiletten diskutiert. „Es sind oft die von Frauen geführten Küchen, in denen auch organisatorisch neue Wege beschritten werden, um die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie zu verbessern und damit die Unternehmenskultur der Restaurants und Hotels nachhaltig zu verändern.“
Dazu gehöre eine reduzierte Menüfolge, die Abschaffung à la carte. Letzteres auch als Reaktion auf die „menu anxiety“ unter jüngeren Gästen, die mit einer detaillierten Karte schnell überfordert sind. Im Hotel wird die Halbpension zunehmend von einer „Flexi-HP“ abgelöst. Gäste können wann und wo sie wollen speisen, gerne auch mal mit Gutschein außerhalb des Hotels.
Dazu gehören auch Prepaid-Reservierungen und das Double-Seating. In der Küche helfen Roboter, die KI hilft bei der Planung, weil sie auch weiß, wie am Wochenende das Wetter ist und ob man das Gastgarten öffnen oder schließen soll. Und sie weiß auch, dass ein Kongress oder ein großes kulturelles Ereignis in der Nähe stattfindet. Das erleichtert die Personalplanung und macht sie effektiver: Es kommt weder zu Engpässen und Wartezeiten für die Gäste, noch steht zu viel Personal kostenintensiv herum und langweilt sich.
Nachdem lange die „nordische Küche“ stilbildend war, sieht Rützler den neuen Trend in der japanischen Küche: „Ihre Präzision in der Zubereitung, Klarheit, Ästhetik und Philosophie dienen Gastronominnen und Gastronomen weltweit als Inspirationsquelle und machen die japanische Kochkunst zur aufstrebenden Leitküche.“ Dazu gehöre auch die Kunst der Fermentation. Von der Taco-Kultur Lateinamerikas könne man sich die Soßenvielfalt abschauen, von der levantinischen Küche einen fantasievollen Umgang mit Gemüse und Salaten.
Download des Whitepapers „Gastrotrends“
HIER gelangen Sie zum Download des Zukunftinstituts.
Titelbild: Jay Wennington/Unsplash Text: Thomas Askan Vierich
6. August 2024
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