Die Gastronomie hat es schwer: steigende Preise, Personalmangel, ausbleibende Kundschaft. Aber manche meistern die Krise. Ihre Lokale sind voll, Gäste und Mitarbeiter glücklich, die Umsätze stimmen. Wie machen die das?
Von Thomas Askan Vierich
Ein Augenschein genügt. Viele Lokale sind leer. Das liegt nicht nur am „trockenen Jänner“, der traditionell eine Herausforderung für Gastronomen darstellt. Wehe dem, der im Dezember nicht ausgebucht war.
Aber es gibt auch im Jänner Lokale, die voll sind. Woran liegt das? Unsere These: Weil hier das Konsumieren von Speisen und Getränken noch Spaß macht!
Der Gast soll König sein. Wird aber immer öfter wie ein lästiger Bittsteller behandelt, der frecherweise nur mit Karte zahlen will/kann („Wir haben eh einen Geldautomat, dreimal ums Eck, finden’s eh.“). Der einen Gegenwert für sein Geld erwartet, der sogar manchmal wissen will, wo sein Essen herkommt. Der kein Radiogedudel im Kaffeehaus oder im Beisl erträgt, der nicht umringt von unabgeräumten Tischen sitzen, der sich seinen Tisch selbst aussuchen, der gerne auch mal spontan sein möchte.
Und das sollte und könnte er oder sie auch bekommen. Auch bei angespannter Personaldecke, auch bei gestiegenen Preisen. Gerade dann. Das sind dann Lokale, die auch in Krisenzeiten bummvoll sind. Gerade dann! Krisenzeiten sind eine große Chance für die Gastronomie. Wo bekommt man sonst auf so angenehme Weise Trost und Zuspruch?
Tischreservierungen / No No-Show: Wer zuerst kommt, trinkt und isst zuerst! Der Gast möchte auch spontan essen oder trinken gehen. Auch wenn man nicht reserviert hat. Nichts ist frustrierender, als beim Betreten gefragt zu werden „Haben Sie reserviert?“ Vor allem wenn man lauter leere Tische mit „Reserviert“-Schilder sieht, die dann auch den ganzen Abend über leer bleiben …
Wenn man das Glück hat, ein gut besuchtes Lokal zu führen, kann man seine Gäste ruhig warten lassen. Die haben das Gefühl, es werde sich wohl lohnen – siehe die langen Schlangen vor dem Café Central oder dem Figlmüller in Wien. Auch Stammgäste setzen sich gerne für 20 Minuten an die Bar – falls vorhanden. Und die sollte unbedingt vorhanden sein! Oder Hochtische im Eingangsbereich. Hier kann man dem vorfreudigen Gast schon mal einen Apero verkaufen, den er am Tisch vermutlich nicht bestellt hätte.
Und wer keine Tischreservierungen entgegennimmt, dem droht auch kein ärgerliches No Show. Man kann seine Tische besetzen, wie es gerade opportun ist. Dafür braucht man auch keine (teure) KI.
Wait to be seated? Abschaffen! Das ist eine Unsitte aus den angloamerikanischen Ländern. Der Gast – zumindest bei uns – möchte nicht bevormundend behandelt werden und sich seinen Tisch selbst aussuchen. Wer zahlt, schafft an. Und der Gast ist nicht so dumm, sich alleine oder zu zweit an einen Sechsertisch zu setzen. Falls doch oder es ist aus Versehen passiert, kann man ihn oder sie höflich darauf hinweisen und an einen kleineren Tisch bitten. Der muss ja nicht „schlechter“ sein.
Alle Karten! Man kann ja Bargeld annehmen, wenn es noch angeboten wird. Ansonsten geht selbstverständlich gerne alles. Wer um das Trinkgeld fürchtet: Da gibt es ganz einfache Tricks. Manche mobile Bezahlgeräte haben die etwas unverschämten (aber wirkungsvollen) Tasten, auf denen schon vorgegeben ist, wie viel Prozent Trinkgeld der Gast geben möchte/soll – besonders zu empfehlen in lauten und hektischen Bars. Im Restaurant regelt das das erfahrene Servicepersonal eh höchst charmant selbst.
Geschultes Personal: Auch zunächst wenig qualifiziertes und motiviertes Personal kann man schulen (und motivieren). Oder ihnen Namensschilder ans Revers heften. Das schafft eine etwas verbindlichere Atmosphäre. Auch gut fürs Trinkgeld. Nicht alles, was in den USA gemacht wird, muss dumm sein. Mehr Lohn und tatsächlich eingehaltene Dienstpläne sind auch förderlich für’s Betriebsklima. Der Gast spürt sofort, wenn er in einem Lokal verkehrt, wo alle gerne arbeiten. Und kommt wieder.
Transparenz: Auch wenn leider wieder weniger über Nachhaltigkeit nachgedacht und geredet wird Ist das so?, der Gast will sich trotzdem nicht für blöd verkaufen lassen. Er merkt, ob sein Schnitzel aus der Tiefkühltruhe kommt. Ein Gasthaus, in dem man kein Klopfen hört, ist ein verdächtiges. Regionalität ist immer noch beliebt, so viel Lokalpatriotismus darf sein. Ich kenne ein italienisches Lokal, das stolz eine stiefelförmige Landkarte an der Wand hängen hat, auf der alle Produzenten mit ihren Höfen und „Genusswerkstätten“ verzeichnet sind. Das macht Spaß und schafft Vertrauen. Andere hängen in den Gang zu den Erfrischungsräumen Fotos und Statements ihrer Produzenten auf. Wenn der Kaiserschmarrn wirklich selbstgemacht ist (auf der Karte darauf hinweisen!), schmeckt er nicht nur besser, sondern darf auch mehr kosten.
Internationalität: Bei allem erfreulichen Lokalpatriotismus (kürzere Transportwege!) auch im Piemont oder in Uruguay wollen Menschen von ihrer Hände Arbeit leben. Und manchmal sind ihre Produkte einfach besser. Wenn dem so sein sollte, wenn man einen wirklich außergewöhnlichen Käse aus der Normandie, ein irre gutes Primesteak aus Brasilien oder einen exquisiten Wein aus Transsylvanien entdeckt hat, dann sollte man das auch anpreisen.
Storytelling mag der Gast, wenn es nicht übertrieben wird. Er oder sie möchte gerne unterhalten werden. Hier bieten digitale Lösungen viele Möglichkeiten: interaktive Tische, Speisekarten auf dem Handy, Bildschirme über der Theke, auf denen nicht irgendwelche öden Sportveranstaltungen laufen, sondern glückliche Kühe aus Brasilien, deren Fleisch man gleich am Teller haben wird. Oder wie in einem bekannten Wiener Eissalon Filme in Dauerschleife, die zeigen, wie das Eis gemacht wird. Es geht aber auch analog. Man kann es erzählen. Wenn man es dem Servicepersonal erzählt hat. Schulung!
Preispolitik: Vielleicht muss das Bier heute wirklich 5,90 Euro oder sogar mehr kosten. Dann muss es aber auch ein sehr gutes Bier und exzellent gezapft sein. Aber muss JEDES Bier so viel kosten? Kann man nicht ein „Bier der Woche“ ausschreiben, das dann eben 4,90 Euro kostet? Solange der Vorrat reicht … Muss man beim Wein wirklich das Dreifache aufschlagen? In den meisten italienischen Lokalen ist das nicht üblich. Dort wird auch gerne der Wein flaschenweise getrunken. Bei uns glasweise. Nona.
Man kann ja einen wirklich günstigen schlichten (guten!) Hauswein aus dem Fass oder Doppler anbieten und den Rest edel aus der Bouteille. Und das dann zelebrieren: Dem Gast grundsätzlich aus der Flasche am Tisch einschenken (Transparenz!) und am besten die geöffnete Flasche am Tisch zum Selbernachschenken stehen lassen. Das muss schon ein sehr beherrschter oder armer Gast sein, der sich dann nicht gerne nachschenkt. Nachdem er vorher interessiert das Etikett studiert hat. Man will sich ja weiterbilden. Das kann dann auch ein „Wein der Woche“ sein, der im Einkauf 15 Euro kostet und im Verkauf nicht 55, sondern 25 Euro. Umsatz ist Umsatz. Der Gast bestellt dann gerne auch eine zweite.
Mittagsmenü: Eine zugegebenermaßen schwierig gewordene Angelegenheit. Ein Menü unter 10 Euro anzubieten, grenzt an Selbstausbeutung oder man muss die Qualität radikal senken. Trotzdem wollen viele Gäste, vor allem Stammgäste, keine 13,90 Euro oder mehr bezahlen. Was tun? Manche haben Mittagsmenüs komplett abgeschafft. Scheint zu funktionieren. Oder man sieht es als Marketingmaßnahme mit Dumpingpreisen in der Hoffnung, dass die Mittagsgäste auch mal am Abend kommen und dann die wirtschaftlich reellen Preise bezahlen. Die Qualität zu senken ist sicher keine gute Idee, das kann schnell den Ruf ruinieren.
Sichtbar sein: Offene Küchen erfreuen sich großer Beliebtheit beim Gast. Das erhöht auch den Erlebnisfaktor. Man sieht, was und wie sie es machen und dass sie hier nichts zu verbergen haben. Wenn der Koch oder die Köchin dann sogar noch an den Tisch kommt, um eine eventuelle Nachspeise zu besprechen, müsste man ja ein Dolm sein, wenn man diese Nachspeise nicht ordert. Obwohl man eigentlich keine mehr wollte.
Nett ist es auch, wenn man vom Wirt („Padrone“) schon beim Hereingehen begrüßt wird. Habe ich bei einem leider verstorbenen Italiener in Wien regelmäßig erlebt. Und man eben nicht von einer unterbezahlten, etwas unbeholfenen, sehr jungen Mitarbeiterin mit dem Spruch empfangen wird: „Haben Sie reserviert?“ Stattdessen vom Chef, der Chefin persönlich mit: „Schön, Sie wieder bei uns zu sehen! Ich werde mich gleich persönlich um Ihren Tisch bemühen. Nehmen Sie doch so lange an unserer Bar Platz. Dort serviert Ihnen Hannes unseren Hauscocktail. Natürlich geht der auf‘s Haus!“ Das kann natürlich auch die junge Mitarbeiterin übernehmen – wenn man sie entsprechend geschult hat.
Und am Ende eines köstlichen und üppigen Mals erscheint der Chef oder die Chefin (oder der Koch) am Tisch und erkundigt sich, ob alles zur Zufriedenheit gewesen war. Wenn die Tischrechnung dreistellig ausfällt, holt er/sie sogar die beste Flasche Schnaps (selbstgebrannt!) heraus und gießt ein.
Atmosphäre: Es sollte in Lokalen weder zu kalt noch zu warm sein. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, scheint dann aber doch nicht so einfach in der Umsetzung zu sein … Auch die Beleuchtung sollte nicht zu hell oder zu dunkel sein. Meistens ist sie zu hell. Die Musik ist auch wichtig. Radiomusik geht gar nicht, außer in einem Ethnolokal, das aber nicht allzu gehoben sein darf. Tipp eines Berliner Barbesitzers mit New-York-Erfahrung: Je später der Abend, desto lauter die Musik! Das erhöhe den Umsatz. Andererseits gibt es schöne Lokale mit einer bescheidenen Akustik. Es hallt ganz furchtbar und man hört alles, was am Nebentisch gesprochen wird. Und umgekehrt. Auch das muss nicht sein, erfahrene Akustiker kennen Abhilfe.
Raucher: Auch denen sollte man was bieten, vor allem im Winter: Einen Regen- und Windschutz, saubere Aschenbecher an Stehtischen. Heizstrahler müssen nicht sein, außer sie werden mit eigenem Solarstrom betrieben … und das sollte man dann kundtun.
QR-Codes: Nice to have. Vor allem in großen, lauten Lokalen oder großen Gastgärten mit eher jüngerem Publikum.
Amuse Guelle: Wird immer gerne genommen – auch im Wirtshaus. Darf nur nicht zu Wucherpreisen im Anschluss berechnet werden. Besonders gern gesehen, wenn es gar nichts kostet, einfach nur serviert wird, weil der Koch, die Köchin gerade Lust drauf hat, weil man herumexperimentiert hat und wissen will, wie es ankommt. Wer als Gast so ernst genommen wird, kommt garantiert wieder.
Wasser für den Hund: Kommt jemand mit Hund ins Lokal ¬– und es muss ja kein Bernhardiner sein, meist sind es kleinere Hunde, die anderen bleiben eh zu Hause –, dann bitte nicht die Augen verdrehen, sondern als Erstes mit einer Wasserschale heraneilen. Das merkt sich Frauchen/Herrchen und kehrt wieder. Wo es meinem Hund gut geht, da lasse ich mich gerne (wieder) nieder. Das Gleiche gilt übrigens auch für Kinder: Die fangen erst an zu quengeln und andere Gäste zu nerven, wenn ihnen fad wird. Dagegen kann der gewiefte Gastronom etwas tun: Spielsachen oder etwas zum Ausmalen bereithalten! Das freut auch die gestressten Eltern und – erraten – sie kommen wieder.
Gastronomie kann so schön sein. Für ALLE Beteiligten. Let’s do it!
Bild: iStock
28. Januar 2025
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