Trendscout Thomas Askan Vierich hat mit dem Zukunftsforscher Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut über unseren nicht enden wollenden Krisenmodus – und wie wir da als UnternehmerIn herauskommen – gesprochen. Wir müssen uns den Möglichkeitsraum Zukunft zurückerobern. Und das geht!
Thomas Askan Vierich: Der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt, die Herausforderungen türmten sich auf wie Autos bei einer Massenkarambolage. Und in seiner Eröffnungsrede wieder einmal alles Mögliche aufgezählt, was gerade in der Welt schief läuft. Wenn man so etwas hört, macht einen das ratlos und Lähmungserscheinungen setzen ein. Wie geht ein Zukunftsforscher mit solchen Aussagen um?
Harry Gatterer: Solche Aussagen führen in der Tat nicht zu Aktivität und schon gar nicht zu einem Bild der Hoffnung und des Gelingens. Natürlich ist viel zu tun und die Probleme sind groß, aber das wissen wir nicht erst seit gestern. Die Frage ist, wie können wir uns dem konstruktiv nähern? Unser mentales System ist überfordert: Wir sind nicht mehr in der Lage uns das Gelingen vorzustellen. Aber wir müssen uns auf Basis von validen Zahlen und Fakten Handlungsräume erschließen.
Die Zukunft als Möglichkeitsraum wird momentan immer kleiner. Das ist neu. Bis vor kurzem war das anders. Jede Generation ist davon ausgegangen, dass es für sie aufwärts geht, dass es ihnen besser geht als den Eltern, dass sie bessere Jobs haben werden und mehr verdienen. Aber immer mehr vom Gleichen ist nicht mehr unsere Zukunft. Es geht jetzt darum echte Unterschiede zu machen, echte Aktivitäten zu setzen, echte Veränderungen zu iniziieren – auf allen Ebenen. Im Unternehmerischen, auf Staatsebene und auch im Persönlichen. Das wirklich Problematische ist, dass wir die Veränderungen zum Besseren gar nicht mehr sehen. Viele sind schon in der richtigen Richtung unterwegs, zum Beispiel gibt es immer mehr Green Investments. In den letzten Jahren hat das in einem galaktischen Ausmaß zugenommen.
Und dann kommt eine Titelgeschichte in „Der Zeit“, die sich an allen Unternehmen abarbeitet, die Green Washing betreiben…
Natürlich gibt’s das auch. Das ist eben das Wesen einer immer komplexeren Welt. Diese Widersprüche müssen wir aushalten. Das will nur niemand hören. Trotzdem gibt es echtes, großvolumiges Investment in Green Technolgies wie noch nie zuvor.
Warum weiß man davon zu wenig? Warum reden wir immer nur über die Probleme? Weil bad news good news sind? Ist es so trivial?
Die tieferen Zusammenhänge sind immer schwieriger zu erzählen als der Weltuntergang. Etwas weg zu erzählen ist immer leichter als etwas hinzu zu erzählen. Wenn es die Städte am Meer wegen des ansteigenden Meeresspiegels nicht mehr gibt, dann ziehen wir halt auf schwimmende Städte. Das könnte ja eine Lösung sein. Klingt aber für viele viel zu kompliziert, wie eine dystopische Science Fiction-Erzählung. Das hängt einfach an unserer mangelnden Vorstellungskraft. Wann erfahren meine Kinder, die sechs und neun Jahre alt sind, wie man sich Zukünfte vorstellt? Doch nur bei mir zu Hause! Ich muss ihnen also positive Geschichten erzählen, oder?
Vermutlich erfahren sie das nicht in der Schule – beim Zustand unseres Bildungssystems… Man hat das Gefühl, wir befinden uns in einer Abwärtsspirale. Über das Bildungssystem und wie man es besser machen könnte, wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Trotzdem wird es jedes Jahr schlechter. Was erzählen Sie Unternehmerinnen und Unternehmern, die auch das Gefühl haben, in einer Abwärtsspirale zu hängen?
Das System Europa ist wirklich an seinen Erfolgs-Peak angekommen. Das geht so nicht mehr weiter. Dazu fehlen viel zu viele Voraussetzungen. Die Frage ist: Wie schlimm ist das? Wie schlimm ist es, wenn es nicht immer nur mehr wird?
Es muss ja nicht mehr werden, aber besser wäre schon ganz schön.
Besser werden, genau! Aber es wird an manchen Stellen zu Rückschritten kommen, die sich vielleicht erst später als Fortschritte herausstellen. Einfach weil alte Zöpfe abgeschnitten werden, Neues möglich wird. Das wird auch im Bildungssystem passieren. Da wird die Künstliche Intelligenz vieles vom klassischen Lernen obsolet machen. Wir haben bei der KI gerade eine Schwelle überschritten. Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt, dass die Zeit kommen wird, wo KI jedem zur Verfügung steht. Da sind wir jetzt angekommen. Heute kommt es nicht mehr darauf an, ob man diese Technologien hat, sondern welche Fragen man an sie stellt. Was tut man mit der KI, zum Beispiel mit Bildsoftware?
Ich versuche in Kontexten zu denken. Was steht in einem Unternehmen konkret an, um weiterzukommen? Worauf muss ich mich fokussieren? Jedes Unternehmen hat das Potenzial, seine Möglichkeitsräume zun erweitern. Man sollte halt nicht bei dem allgemeinen Gejammere mitmachen, dazu besteht kein Anlass. Auch wenn nicht alles immer mehr wird, es könnte ja anders werden. Man muss sich in all den Veränderungen und Bewegungen das herauspicken, was für einen relevant ist. Jetzt ist eine gute Zeit für das Unternehmertum! Wo kann ich meinen Beitrag leisten?
Das geht beim Mitarbeitermangel los. Man muss sich halt anders um seine Mitarbeiter kümmern, oder?
Können sich meine Mitarbeiter eine Zukunft in meinem Unternehmen vorstellen? Kann ich mir eine Zukunft für mein Unternehmen vorstellen?
Reicht es da eine gemeinsame Vison zu entwickeln?
Nein. Das steht immer nur auf einem Papier. Man muss vor allem ins Handeln kommen. Was ist ernsthaft als Erfahrung vorstellbar? Zum Beispiel die KI: Jeder redet drüber, an den Unis werden sie ganz hektisch, jeder will damit arbeiten. Das ist aber nichts Überraschendes. Aber drüber reden oder sich mit vollen emotionalen Erfahrungen darauf einzulassen sind zwei Paar Schuhe. Das war bei den Sharing Dienstleistungen das Gleiche. Auch das hätte man antizipieren und sich rechtzeitg darauf einstellen können.
Wie kommt man vom Papier ins Fühlen?
Indem man emotionsnah arbeitet, einen emotionalen Zugang zulässt. Wo sind Ängste? Diese artikulieren, zuhören. Aber auch: Wo sind Hoffnungen und Erwartungen?
Also dreht sich alles um die richtige Kommunikation?
Ja. Aber das geht natürlich in einem kleinen Betrieb leichter. In einem Unternehmen mit 500 Angestellten kann ich ja nicht mit jedem ein Einzelcoaching machen. Da braucht es Setzungen, wie ich das nenne. Die Veränderung muss dem Menschen schon jetzt im Alltag erfahrbar sein. Das nächste Big Thing muss erlebbar sein – und nicht nur auf dem Papier stehen. Wenn ich sage, wir bauen uns jetzt ein virtuelles Hotel im Metaverse, dann wird das nicht von heute auf morgen klappen, aber man bekommt Schritt für Schritt eine virtuelle Arbeitsumgebung, in der man schon einige der neuesten Tools einsetzen und ausprobieren kann. So etwas muss man schon jetzt glaubhaft im Alltag der Menschen verankern.
Wir selbst im Zukunftsinstitut haben damit vor zweieinhalb Jahren angefangen. Wir haben ein komplettes Büro im Metaverse eingerichtet, wo jetzt unsere 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter virtuell zusammenarbeiten können – also völlig ortsunabhängig. Und in diesem Metaverse laufen wir jetzt herum und sehen, wo die anderen gerade an was arbeiten. Das nimmt schon vieles vorweg. Das ist nicht nur lustig und neu, wir merken, dass das mehr ist. Das ermöglicht uns eine neue Normalität in der Art, wie wir zusammenarbeiten. Und wir erleben ganz unmittelbar den nächsten technologischen Schritt, der sich ganz gut anfühlt.
Das würde natürlich für andere Unternehmen auch gelten. Umgekehrt gilt das aber auch: Wenn ich meinen Hotelgästen eine technolgiefreie Umgebung bieten möchte, dann gilt das für meine Mitarbeiter auch. Egal was man sich als Zukunft vorstellt, man muss es ernst nehmen. Die Zukunft ist ein Abgleich von Innen nach Außen. Außen sind die Nachrichten, die Bewegungen und Veränderungen. Da hält Guterres seine großen, apokalyptischen Reden. Aber wie kann ich dazu innen eine Haltung entwicklen? Oh, mein Gott, Lähmung? Oder schaue ich mir an, was es schon für interessante Lösungen dazu gibt? Lasst uns das ganze Bild bestmöglich in den Blick nehmen. Und dann in sich hinein horchen: Wo spüre ich eine Dynamik? Wo möchte ich mitgehen? Was passt zu unserem Weg? Und der ist sicher mehr als nur ökonomisch. Das ist uns theoretisch längst klar, in der Praxis aber nicht immer so leicht umzusetzen. Vor allem in so einer volatilen Umgebung.
Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Ein Weiterso gibt es einfach nicht mehr. Zumindest nicht mehr lange.
Genau.
Aber was würden Sie einem Hotelier raten, der auf 1400 Meter Seehöhe ein Sporthotel hat und absolut abhängig von der Schneelage ist, weil es bei ihm nichts anders als Skifahren gibt? Am Wetter kann er nichts ändern! Also ist er im Eck.
Er ist im Eck, weil er sich zu abhängig gemacht hat. Das ist grundsätzlich schlecht, war es schon immer. Das funktioniert vielleicht noch in St. Anton. Hier geht’s auch wieder um das Zusammenspielen von Innen und Außen. Außen ist die Schneelage. Die wird nicht mehr besser. Jetzt kann man sich fragen: Was löst das in meinem Innen aus? Wofür brennen wir in unserem Betrieb? Können wir vielleicht etwas anders anbieten, das sich besser zum Außen verhält? Da kann man nicht als Externer Vorschläge machen. Das muss man von Innen entdecken. Deshalb spreche ich davon, dass wir eigentlich in den unternehmerischsten Zeiten ever leben. Wenn das Außen nicht mehr für ein automatisches Wohlstandsversprechen steht, dann muss das Innen etwas Neues finden. Dann muss man sich auf eine Entdeckungsreise ins Innere begeben, um zu lernen mit dem neuen Außen umzugehen.
Aber wie schafft man das? Wenn man zwanzig oder mehr Jahre seinen Betrieb geführt hat und jedes Jahr ist es besser geworden. Und jetzt plötzlich nicht mehr. Muss man sich für ein paar Wochen in ein Zen-Kloster zurückziehen?
Dafür gibt es natürlich verschiedene Techniken und Methoden. Aber das Wichtigste ist wohl, dass man sich dafür Zeit nimmt. Und wenn man sich einmal die Woche einen „Unternehmertag“ in seinen Kalender einträgt, an dem man nichts anderes tut, als nachzudenken. Das gehört auch zu deinem Job. Eher als ständig anderen zu sagen, wie sie ihren Job zu tun haben. Das ist der Kern der unternehmerischen Tätigkeit: Überlegen, wo ich mein Geld reinstecken möchte, woran ich wirklich glaube. Leider sind viele Unternehmerinnen und Unternehmer so voll gepackt mit nicht unternehmerischen Tätigkeiten: Sie müssen an der Bar aushelfen oder in der Küche, weil wieder jemand ausgefallen ist.
So kommen sie erst recht nicht zum Nachdenken!
Man muss sich die Zeit nehmen. Das kann einem kein Berater abnehmen. Und man sollte sich über neue Kooperationen Gedanken machen. Über Partner, an die man noch nie gedacht hat. Leute, die einen auf neue Ideen bringen können.
Irgendwie leben wir immer noch in postmodernen Zeiten. Die großen Erzählungen sind immer noch auserzählt. Gibt es neue Denker, die einen auf neue Ideen, auf neue große Erzählungen bringen können?
Ein neues Mindset, darum geht es. Das davon ausgeht, dass es kein ökonomischer Verlust ist, wenn wir ökologisch handeln. Denker, die uns die Zusammenhänge neu erklären. Beziehungsweise uns erklären, dass wir die Welt als Ganzes nicht mehr verstehen können und auch nicht müssen. Ein neuer systemischer Ansatz.
Genau. Aber wer erklärt uns das?
Das kann man nur in Zusammenhängen erfassen, nicht in einzelnen Ereignissen. Die großen Erzählungen der Vergangenheit waren immer singuläre Erzählungen. Lohnende Lektüre heute ist diejenige, die versucht die Zusammenhänge darzustellen. Leben in Zusammenhängen, Lernen in Zusammenhängen, Sehen in Zusammenhängen, darum geht es. Da gibt es die Systemtheorie, ökologische Betrachtungen, Craddle to Craddle, Gemeinwohlwirtschaft, Netzwerkforschung ist ganz großartig. Einen Autor möchte ich hervorheben: Geoffrey West mit „Scale. Die universalen Gesetze“. West beschreibt, nach welchen Regeln die Welt funktioniert. Zum Beispiel verringert sich der ökologische Fußabdruck in der verdichteten Stadt: Bei einer Verdopplung der Bewohner pro Fläche um 50 Prozent. Ein Problem (viele Menschen auf engem Raum, Urbanisierung) wird also zur Lösung. Die Stadt, die Urbanisierung, die viele als Problem sehen, wird zum Teil der Lösung.
Interessant ist auch die schwedische Gapminder Foundation mit ihrem Buch „Factfulness“: Das spannt dir die Welt in Fakten und Zahlen auf. Viele davon sind sehr überraschend. Oft positiver, als man glaubt. Das kann einem ein bisschen Hoffnung geben. Denn wir befinden uns alle natürlich gerade in einem denknabr schlechten mentalen Zustand. Die Pandemie steckt uns noch allen in den Knochen. Und jetzt tobt ein furchtbaer Krieg in Europa, der auch noch eine Weile andauern wird und das Potenzial hat uns existenziell zu bedrohen.
Aber wir dürfen nicht nur in Worstcase-Szenarien denken. Die muss man sehen, natürlich, darf sie nicht leugen. Aber sie sind nicht die einzige Wahrheit. Man muss im Inneren des eigenen Systems nach Lösungen suchen und generieren. Lösungen, die dem System zur Verfügung stehen. Nicht darauf warten, dass die Lösungen von außen kommen, von der Politik etwa. Man ist ja nicht Unternehmer geworden, um darauf zu warten, was einem für Spielregeln oder Hilfszahlungen gegeben werden, sondern um etwas zu tun. Auch wenn das Umfeld rauer geworden ist.
Kleine Schritte gehen, statt den Kopf in den Sand zu stecken.
Im Tourismus helfen sicher untypische Kooperationen. Mit Leuten und Firmen zusammenarbeiten, mit denen man auf den ersten Blick nichts zu tun hat. Warum nicht mal mit einem Metaverse-Experten kooperieren? Oder mit einem Künstler? Einem Netzwerkforscher? Aus den eigenen Routinen herauskommen! Unternehmerinnen und Unternehmer dürfen, müssen, sollen in Zusammenhängen denken, die in ihren Routinen heute noch nicht angelegt sind. UND: Zukunft ist immer INNEN, Außen ist Veränderung (Trends). Innen ist das, was ich daraus mache. Wer wartet, dass die Zukunft im Außen besser wird, wird dies nicht erleben.
Harry Gatterer sagt…
„Unser mentales System ist überfordert: Wir sind nicht mehr in der Lage uns das Gelingen vorzustellen.“
„Auch wenn nicht alles immer mehr wird, es könnte ja anders werden.“
„Man muss vor allem ins Handeln kommen. Was ist ernsthaft als Erfahrung vorstellbar?“
„Wir haben vor zweieinhalb ein Büro im Metaverse gebaut. Und in diesem Metaverse laufen wir jetzt herum und sehen, wo die anderen gerade an was arbeiten. Das ist nicht nur lustig und neu, wir merken, dass das mehr ist.“
„Man muss sich auf eine Entdeckungsreise ins Innere begeben, um zu lernen mit dem neuen Außen umzugehen.“
„Man sollte sich über neue Kooperationen Gedanken machen. Über Partner, an die man noch nie gedacht hat. Leute, die einen auf neue Ideen bringen können.“
Interview: Thomas Askan Vierich Titelbild: SpaceX/Unsplash
13. Februar 2023
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