„Wo beginnt die Wertschöpfungskette?“, fragt Hotelier Steffen H. Seichter. „Beim Mitarbeiter!“ Das Gastgewerbe hat einen heißen Sommer hinter sich. Die Geschäfte boomen – trotz dünner Personaldecke. Der Winter könnte weniger heiß werden – bei steigenden Kosten. Tourismusunternehmen müssen umdenken beim Umgang mit ihrem Personal. Resilienz fängt dort an – nicht bei Vorsorgemaßnahmen für einen Blackout. In Hamburg fand eine Gesprächsrunde zum Thema statt.
„Geht jetzt alles weiter, als wäre nichts gewesen?“
Ulrike Fischer, Tourismusverband Hamburg e.V.
„Die Angestellten im Gastgewerbe haben schlicht erkannt: Der Job ist nicht gut für meine Gesundheit.“
Carola Kleinschmidt, Resilienztrainerin
„Die Restaurantschließung ist eine Entscheidung, die den Mitarbeitern dient, nicht unbedingt der Gewinnmaximierung.“
Steffen H. Seichter, Generaldirektor des Scandic Hamburg Emporio
Während der Covid-Pandemie haben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Gastgewerbe verlassen: Weil ihnen der Job eh schon immer zu stressig war, weil sie für sich keine Zukunft in dieser Branche sahen und weil sie viele Arbeitgeber während der Krise wie heiße Kartoffeln haben fallen lassen – Entlassung statt Kurzarbeit. Und Kurzarbeit war je länger sie dauerte auch keine Lösung, nicht nur wegen ausfallender Trinkgelder. Deshalb kommen sie jetzt nicht mehr zurück. Deshalb müssen Hoteliers, Gastronomen oder Touristiker umdenken. Eine Expertenrunde in Hamburg diskutierte, was getan werden muss, und machte Vorschläge.
„Eben bin ich durch das sommerliche Hamburg zu unserem Treffpunkt an der Elbe gefahren. Überall Touristen! So viele wie schon lange nicht mehr, sogar mehr als vor Corona“, sagt Moderatorin Ulrike Fischer vom Tourismusverband Hamburg e.V. „Geht jetzt alles weiter, als wäre nichts gewesen? Schaffen wir diesen Andrang mit der gegenwärtig dünnen Personaldecke überhaupt? Haben wir aus der Coronakrise etwas gelernt? Brauchen wir ein neues Normal? Vielleicht auch weniger von manchem?“
Steffen H. Seichter, Generaldirektor des Scandic Hamburg Emporio, kann diesen Eindruck nur bestätigen: „Bei uns brummt es seit dem Frühsommer. Wir haben eine riesige Nachfrage.“
Ähnliches hört man auch aus anderen Destinationen. In Salzburg war seit Juli spontan kein Zimmer mehr zu bekommen. Wien schaffte im ersten Halbjahr 2022 ein Nächtigungsplus von 509% gegenüber dem gleichen Zeitraum 2020. Im Juni 2022 waren es rund 80% vom Juni 2019. Man spricht von Nachholeffekten. Das heißt auch: Das muss nicht so bleiben.
Und viele Betriebe hadern mit ihrem Personalstand, schon länger. Auch Seichter: „Durch die Pandemie wurden ganze Jahrgänge nicht ausgebildet, die Lücke spüren wir jetzt. Die Nachfrage überschreitet momentan unseren Personalstand, obwohl wir uns schon seit Oktober 2021 Gedanken gemacht haben, wie wir unsere Angestellten halten können und Anfang 2022 massiv ins Recruiting eingestiegen sind. Uns fehlen trotzdem Leute. Das führt dazu, dass wir unser Angebot runterfahren. Wenn wir nicht genügend Personal für eine dritte Schicht haben, bleibt das Restaurant abends geschlossen.“
Seichter ist klar geworden, dass er viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen der permanenten Stresssituation verloren hat – lange vor Covid. Jetzt werden im Scandic die Dienstpläne penibel eingehalten, Überstunden massiv heruntergefahren. „Wo beginnt die Wertschöpfungskette?“, fragt er. „Beim Mitarbeiter! Die Restaurantschließung ist eine Entscheidung, die den Mitarbeitern dient, nicht unbedingt der Gewinnmaximierung. Das kommunizieren wir an unsere Gäste und die verstehen das. Die Bewertungen sind seitdem nicht schlechter geworden.“
Die Biologin Carola Kleinschmidt ist eine Pionierin, wenn es um Resilienz in der Arbeitswelt geht. Sie war eine der ersten, die über Burnout am Arbeitsplatz gesprochen und geschrieben hat. Sie bietet seit Jahren Resilienzseminare an und sagt: „Resilienz ist ein Buzzword: Es soll Effizienz und Produktivität erhöhen. Das geht wieder in die falsche Richtung.
Die Menschen wollen verstehen, was sie machen und machen werden, damit sie sich darauf einstellen können. Sie wollen eigenverantwortlich handeln können, kreativ sein. Ihnen geht es um das Sinngefühl und das Zugehörigkeitsgefühl. Weil genau das im Gastgewerbe lange vernachlässigt wurde, sind viele weggegangen. Die Leute haben schlicht erkannt: Der Job ist nicht gut für meine Gesundheit.“
Stephanie Schaub ist die Geschäftsführerin des Hamburger Schokoladenmuseums Chocoversum – so etwas Ähnliches wie Zotters Erlebniswelt in der Südoststeiermark. „Das 9-Euro-Ticket hat uns einen Push gegeben. Plötzlich sind Schulklassen von weiter angereist. Wir mussten unsere Öffnungszeiten auf 6:30 Uhr morgens erweitern.“ Da sind sie beim Personal schnell an ihre Grenzen gestoßen. Sie verzichten seit Corona auf Bewerbungsschreiben und alle Formalitäten.
„Gastgeberqualitäten und Selbstbewusstsein sind viel wichtiger als Fachwissen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich wohlfühlen können“, sagt Schaub. „Wir dürfen sie nicht überfordern. Deswegen haben wir unsere Besuchergruppen reduziert, zunächst von 40 auf 16 Teilnehmer. Das Team entscheidet selbst, wie groß die Gruppen sein sollen. Und siehe da, sie haben jetzt freiwillig auf 24 aufgestockt.“
Carola Kleinschmidt, die Resilienztrainerin, ist positiv überrascht von den geschilderten Maßnahmen im Tourismus, da seien viele Konzerne noch nicht so weit. „Das gehört auch zur Resilienz: Das Belastungsproblem überhaupt wahrzunehmen.“ Und das passiere noch viel zu selten – die Zahlen der Krankenkassen bestätigten das.
Man müsse die Mitarbeiter in Entscheidungen einbinden. Firmen machten Mitarbeiterumfragen, die sie dann aber nicht umsetzen. „Das ist das Schlimmste, dann lieber keine Umfragen“, sagt die Resilienztrainerin. „Man muss Veränderungen nachhaltig durchziehen. So etwas dauert. Das dient zur Vorbereitung der nächsten Krise. Damit man Tools dafür entwickelt.“
Damit kommt man dann auch durch einen Winter der Inflation und der teuren Energie. Da wird man auch das eine oder andere weglassen müssen, weil es schlicht zu teuer ist.
„Wir waren nicht vorbereitet auf die Sorgen unserer Mitarbeiter“, sagt Hotelier Seichter. „Da sind wir jetzt besser aufgestellt, müssen aber noch besser werden, noch mehr Fingerspitzengefühl und gemeinsame Werte entwickeln. Wir sagen jetzt: ‚Wir kümmern uns!‘. Das bedeutet: Um uns selbst, unser Team und die Umwelt.
Unsere Bewerber wollen zuerst über solche Werte reden, über die Unternehmenskultur, erst später über das Gehalt.“ Seichter bildet seit Corona mehr denn je selbst aus. Und das Netzwerken sei sehr wichtig. „Ich bin heute mit viel mehr Hoteliers befreundet“, sagt der Generalmanager des Scandic Hamburg Emporio.
Und wer weiß, was die Pandemie noch für uns im Köcher hat. Gäste könnten kurzfristig wieder wegbleiben, es könnte auch nochmal zu Schließungen kommen – vielleicht mit Kurzarbeit. Einige Betriebe sprechen schon davon, einen Winterschlaf einlegen zu wollen. Diesmal sollte man aber alles dafür tun, das kostbare Personal zu halten.
Und wer es noch nicht getan hat, jetzt wäre die Zeit damit anzufangen. Runter mit den Überforderungen, mit den Endlosschichten, mit dem „Kannst du mal eben einspringen?“, mit noch einer Wochenendschicht, mit noch einer Familienfeier bis morgens um vier, obwohl gerade zwei Kollegen krank sind. Schluss mit dem „Weiter so“.
Titelbild: Alexander Grey/Unsplash Text: Thomas Askan Vierich
13. Oktober 2022
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