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Wir müssen aus dem Krisenmodus herauskommen

Im Interview mit Thomas Askan Vierich spricht Zukunftsforscher Andreas Reiter über innovative Tourismuskonzepte, gemeinwirtschaftliche Ansätze, Kreislaufwirtschaft und das Ende des Tourismus, wie wir ihn kennen.

Collin’s Dictionary in London hat „permacrisis“ zum Wort des Jahres kreiert. Herr Reiter, Sie haben in einem Vortrag vom „Krisen-Tinnitus“ gesprochen. Kommen wir aus den Krisen nicht mehr heraus?

Wir hatten menschheitsgeschichtlich ein kleines Zeitfenster ohne permanente Krise: Das war die Zeit der Nachkriegsgeneration. Ansonsten gab es in der Menschheitsgeschichte immer Krisen, auch sehr viel existenziellere wie der Dreißigjährige Krieg, Bürgerkriege, Pestepidemien, Hungersnöte, die sich auch noch überlappten. Wir sind so etwas nicht mehr gewöhnt.

Wie sind die Menschen damals damit umgegangen? Haben sie sich in die Religion geflüchtet?

Ja, die hatten eine andere Metaebene. Wir sind viel mehr an dieses irdische Leben gebunden. Und das ist, glaube ich, sehr wichtig: Uns fehlen diese übergeordneten Strukturen.

Dafür haben wir aber eine bessere staatliche Verfasstheit. Im Mittelalter herrschte weitgehend das Raubrittertum…

Natürlich: Wir leben in Demokratien, in abgesicherten sozialen Systemen. Die kommen aber, wenn sie in Krisenzeiten überdehnt werden, an ihre Grenzen.

Die Pandemie haben wir doch mit Hilfszahlungen und Zeitarbeit ganz gut überstanden – abgesehen vielleicht von den psychologischen Schäden, die man schlechter messen kann.

Ja, aber jetzt kamen die nächsten Krisen: Inflation und Energiekrise. Und sofort schreien alle wieder nach Hilfen. Da gibt es ein hohes Anspruchsdenken.

Ist das nicht auch berechtigt? Müssen wir nicht helfen? Wir haben doch die Mittel. Wir können die doch nicht alle pleite gehen lassen, oder? Ist der Staat nicht verpflichtet dazu? Die Betriebe trifft ja kein eigenes Verschulden.

Das stimmt schon. Aber wie lange soll das so weitergehen? Sollte man nicht mehr zur Selbstverantwortung in bestimmten Bereichen aufrufen? Wenn man an den Tourismus denkt: Es gibt einige Betriebe, die haben schon vor Jahren damit begonnen sich mit autarker Energieversorgung zu beschäftigen. Die haben ein partizipativeres Mitarbeitermodell eingeführt. Und die anderen sind alle plötzlich überrascht: vom Mitarbeitermangel, von der Energiekrise. Also sage ich: Unternehmer müssten viel mehr an diese Fragen herangeführt werden, um eigenverantwortlich zu handeln. Ich sehe als liberal denkender Mensch die Gefahr, dass wir uns viel zu sehr an einen paternalistischen Staat klammern.

Wer soll denn heranführen?

Das beginnt in der Schule. Oder wie wir unsere Kinder erziehen. Da geht es um ein verändertes Mindset. Um unsere Einstellung zum Gemeinwohl: Welche Auswirkungen hat mein Handeln, mein Geschäftsgebahren auf meine Umwelt, die Gesellschaft? Da fehlt es immer noch an Best Practice Beispielen. Daran müssen wir noch ganz massiv arbeiten.

Was Sie da andeuten, sind ja alternative Entwürfe, die unser aller Leben besser machen könnten. Damit würden wir aus dem permanten Krisenmodus beziehunsgweise dem Jammern darüber rauskommen.

Das wissen wir nicht genau. Ob die Gemeinwohlwirtschaft oder die Kreislaufwirtschaft wirklich funktioniert – vor allem im großen Rahmen. Aber wir könnten und wir müssen es probieren. Wir brauchen eine experimentellere Logik. Das alte System war nicht sehr erfolgreich…

Ökonomisch für viele schon…

Kurzfristig…

Aber deshalb fällt es halt vielen schwer, sich davon zu verabschieden. Der österreichische Tourismus war ja sehr erfolgreich.

Es kommt darauf an, in welchen Zeiträumen wir denken. Das reichte für 80 Jahre. Und ein Unternehmen ist ja auch immer nur so stark wie die Region oder die Destination. Und wenn hier der Klimawandel ins Spiel kommt, sieht es schon wieder ganz anders aus.

Aber momentan geht’s ja noch, weitgehend…

Momentan. Aber Sie haben ja in der Pandemie gesehen, was es bedeutet, wenn eine Region monokulturell abhängig ist. Da müssen wir herauskommen. Das Ötztal, um ein Beispiel zu nennen, muss aus dieser Abhängigkeit herauskommen. Wir brauchen in den touristischen Regionen eine stärke Diversifikation.

Wie könnte die im Ötztal ausehen?

Da ist die Politik gefordert. Wir arbeiten heute ja ganz anders. Oder könnten es zumindest – wie sich in der Pandemie gezeigt hat. Homeoffice ist eine große Chance für das Land. Plötzlich reicht es, wenn man einmal die Woche ins Büro in der Stadt fährt. Schauen Sie sich Berlin/Brandenburg an: Da gibt es eine starke Abwanderung in einem Radius von 100 Kilometern um Berlin herum. Die Landgemeinden werben die Städter regelrecht ab: mit besseren Schulen, niedrigeren Lebenskosten, mehr Grün und so weiter. Das geht auch in Österreich: Leben in Hallstatt, arbeiten in Linz bzw. remote arbeiten in Hallstatt.

Das bedeutet, wenn es keinen Tourismus im Ötztal gäbe, könnte man trotzdem im Ötztal leben und arbeiten. Trotzdem gibt es Politiker wie den bayerischen Wirtschaftsminister, der vehement fordert, zu beschneien. Das sei alternativlos, koste es, was es wolle. Wenn es die Bayern nicht tun, fahren die Leute nach Österreich oder Frankreich zum Skilaufen. Man müsse zu den Saisonhochzeiten rund um Weihnachten einfach Skilaufen anbieten können, sonst gehe man pleite und die ganze Region gleich mit. Was würden Sie dem entgegnen?

Die Realität wird ihn einholen. Bei plus 10 Grad kann man einfach nicht mehr beschneien, egal was es kosten würde. Das ist technisch nicht mehr möglich. Und sie provozieren, wie wir diesen Winter gesehen haben, viele Skiunfälle. Wenn man nur noch auf schmalen Schneestreifen fahren kann, wird es schnell eisig und neben der Piste ohne Schnee gefährlich. Die Touristiker scheinen ein eingebautes Gen zu haben, das ihnen sagt: Das war schon immer so und das wird auch wieder so. Wird es nicht. Skifahren wird uninteressant. Oder sehr teuer in wenigen hoch gelegenen Skigebieten.

Was soll der Touristiker zum Beispiel am Semmering machen?

Seine Produkte verändern. So wie auf Sylt. Sylt war immer eine klassische Sommerdestination. Niemand hat dort im Winter Ferien gemacht. Aber die Sylter haben es geschafft, aus ihrer Insel auch eine Winterwellnessdestination zu machen. Ich habe das selbst mehrfach erlebt. Am Tag geht man barfuß mit Pelzmantel am Meer spazieren. Nachher entspannt man sich in einem der neuen Wellnesshotels. Das könnte es bei uns auch geben. Anstatt an milden Wintertagen die Sommerrodelbahn auszugraben. Das halte ich für ein Armutszeugnis. Das Produkt Winterurlaub in den Bergen ist nicht tot, aber es verändert sich, muss sich verändern. Es wird neue Outdoorsportarten geben.

Andreas Reiter. Foto: Oliver Wolf

Reden wir mal über Geld. Viele Tourismusbetriebe haben sich während der Niedrigzinsphase hoch verschuldet. Jetzt steigen die Zinsen, die Betriebe haben immer weniger Liquidität, bekommen auch keine neuen Kredite. Die Arbeits- und Betriebskosten steigen auch. Wie soll das weitergehen?

Es wird zu einer Marktbereinigung kommen, das ist unausweichlich. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Sepp Schellhorn fordert schon länger Prämien für Betriebe, die aufhören möchten oder müssen. Die Jungen wollen ja häufig die Betriebe nicht mehr übernehmen. Die wollen sich die viele Arbeit nicht mehr antun, die haben andere Vorstellungen von ihrem Leben. Wenn sie übernehmen, dann in kleineren Strukturen, mit weniger Personal und anderen Öffnungszeiten.

Reduzieren wäre also eine Möglichkeit.

Die Wachstumsphilosophie wird ja von den Jungen hinterfragt. Teilweise gezwungenermaßen, weil sie die Mitarbeiter nicht haben. Teilweise aber auch, weil sie es selber wollen. Da ist was im Umbruch. Die anderen werden sich mit neuen Methoden an die Umstände anpassen. Dann ist das Restaurant eben nur an vier Tagen in der Woche geöffnet. Oder im Hotel sperrt am Sonntag ab 16 Uhr die Gastronomie zu. Das muss man als Gast zur Kenntnis nehmen.

Man könnte ja auch mehr zusammenarbeiten. Sich die Gastronomie teilen. Oder den Wellnessbereich.

Poolingsysteme wie beim Recruiting, ja! Ein kleiner Betrieb schafft das nicht mehr. Das ist auch ein Destinationsthema, also das Recruiting.

Dazu gehört ja auch Infrastruktur, Kindergartenplätze am Wochenende und so weiter.

Das gehört zu einer regionalen Daseinsvorsorge. Auf Sylt kümmert sich die Tourismusorganisation um das Recruiting für alle, also auch Bäcker und Tischler. Ohne Bäcker stirbt die Insel.

Und die Hotels bekommen keine frischen Brötchen mehr.

Das muss von einer Region betrieben werden! Ich kenne Beispiele aus Deutschland, aus Österreich nicht. Sie?

Ich weiß nur, dass es in vielen österreichischen Tourismusorten kaum noch Gastronomie außerhalb der Hotels gibt. Weil die bisher niemand brauchte. Aber wenn die Hotels keine Halbpension mehr anbieten, brauchen ihre Gäste ja eine Möglichkeit, irgendwo einzukehren. Da wird jetzt diskutiert, wie man das Problem lösen kann.

Das müsste von der Politik stärker aufgegriffen werden. Wie das Co-Working am Land. Das haben die Bürgermeister am Land aufgegriffen. Die bieten sowas jetzt an: Co-Working im ehemaligen Gasthaus.

Wie sieht es mit der Kreislaufwirtschaft aus?

Die Stadt Amsterdam will bis 2050 zirkulär werden.

Was heißt das konkret?

Dass die gesamte Wirtschaft in der Stadt zirkulär ist. Es gibt keine Abfälle mehr. Abfall ist der Rohstoff von morgen. Sie haben bei der Beschaffung angefangen, die muss auch zirkulär sein. Alles, was von der Stadtverwaltung bestellt wird, wird in Amsterdam bestellt, also nicht mehr überregional. Damit stärken sie ihre regionale Wirtschaft. Das bedeutet Büromöbel aus Amsterdam, Baustoffe für neue Gebäude aus recyceltem Material oder Lehm und Holz. Das gibt’s auch schon bei uns. Zum Beispiel hat sich die Region Wilder Kaiser der Gemeinwohlwirtschaft verpflichtet. Die prüfen also die gesamten Ketten und Wirtschaftskreisläufe auf Nachhaltigkeit. Und sind drauf gekommen, dass sie einen hohen Anteil ihres Bürobedarfs online einkaufen. Das haben sie abgeschafft und kaufen jetzt im Schreibwarengeschäft vor Ort. Das wird auch ständig evaluiert. Das könnte andere motivieren, das nachzumachen.

Das ist ja auch gut für’s Recruiting. In so einer Region möchte man leben und arbeiten. Damit kann man sich identifizieren.

Das bestätigen auch internationale Studien zur Generation Z. Die jungen Leute wollen nur noch in Betrieben oder Regionen arbeiten, die ihre Werte teilen. Und das tut ein klassisches Resort oft nicht.

 

Zukunftsforscher Andreas Reiter gründete Ende 1996 das ZTB Zukunftsbüro in Wien, das Unternehmen, Kommunen, Destinationen und den Öffentlichen Sektor wirksam durch die Disruptionen der Digital-Moderne begleitet. Er berät in strategischen Zukunftsfragen, bei Resilienz & Transformation sowie bei strategischer Positionierung.

Kernaussagen

„Die Touristiker scheinen ein eingebautes Gen zu haben, das ihnen sagt: Das war schon immer so und das wird auch wieder so. Wird es nicht.“

„Ich sehe als liberal denkender Mensch die Gefahr, dass wir uns viel zu sehr an einen paternalistischen Staat klammern.“

„Sollte man nicht mehr zur Selbstverantwortung in bestimmten Bereichen aufrufen?“

„Welche Auswirkungen hat mein Handeln, mein Geschäftsgebahren auf meine Umwelt, die Gesellschaft?“

„Sie haben ja in der Pandemie gesehen, was es bedeutet, wenn eine Region monokulturell abhängig ist.“

„Homeoffice ist eine große Chance für ländliche Regionen.“

„Das Produkt Winterurlaub in den Bergen ist nicht tot, aber es verändert sich, muss sich verändern.“

„Es wird zu einer Marktbereinigung kommen, das ist unausweichlich. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.“

Titelbild: pixabay
Interview/Text: Thomas Askan Vierich
25. Januar 2023
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