www.hogast.com Icon hogast.com Webseite office@hogast.at Icon Emailadresse +43 6246 / 8963-0Icon Telefonnummer Logins Icon Schliesen
myHOGAST öffnen Lieferpartner Zugang
HOGASTJOB öffnen
HOME Wir müssen im Tourismus radikaler denken!

Wir müssen im Tourismus radikaler denken!

Stefan Gössling forscht am Western Norway Research Institute über Mobilität und Tourismus und hielt auf der Green Tourism Conference der ÖHV im Mai einen Vortrag über Probleme und Herausforderungen des Tourismus in Fragen der Nachhaltigkeit. Die Lage ist hoch problematisch, aber nicht hoffnungslos. Teil 1 des Interviews mit Tourismusscout Thomas Askan Vierich.

Thomas Askan Vierich: Herr Gössling, Sie haben Ihren Vortrag „The Radical is the New Normal“ genannt. Was meinen Sie damit genau?

Stefan Gössling: Ich glaube, die meisten Leute verstehen immer noch nicht, wie viel sich wie schnell ändern muss. Wir haben lange Zeit die Energiewende verschlafen. Das hat jetzt zur Folge, dass Dinge sehr schnell passieren müssen, sofern wir im Rahmen der Klimaziele nicht über die Emissionsmengen hinausgehen wollen, die wir noch emittieren können. Das heißt, wir alle müssen jetzt sehr schnell agieren. Aber radikal bedeutet auch, dass wir viel häufiger viel intensivere Disruptionen im System sehen werden. Das bahnt sich auf ganz verschiedenen Ebenen an. Ein Viertel des deutschen Waldes ist tot, mittlerweile ist Wassermangel ein Thema, das viele beschäftigt, der Po ist letztes Jahr ausgetrocknet, jetzt ist die halbe Emilia Romagna überschwemmt. Das sind schon ganz neue Dimensionen.

Stefan Gössling.

Und Sie haben auch gesagt, dass Sie sich seit 25 Jahren mit der Thematik beschäftigen. Zehn Jahre lang hat man Sie ausgelacht, zehn Jahre war man wütend auf Sie, aber jetzt hört man Ihnen endlich zu….

Die Botschaft ist angekommen, ja. Ich bekomme jetzt mehr Anfragen, als ich realistischerweise bearbeiten kann. Man merkt, dass viele verstanden haben, dass das Problem ein ernstes ist. Es änderte sich erst mit Greta Thunberg. Es ist schon erstaunlich, wie manchmal auch eine Einzelperson unglaublich viel erreichen kann. Ich kann als Wissenschaftler nicht sagen, dass ich auch nur einen Bruchteil erreicht hätte von dem, was ein 15-jähriges Mädchen geschafft hat.

Was hat das jetzt unmittelbar für Auswirkungen für den Tourismus in den nächsten Jahren, speziell auch für Österreich, für den alpinen Raum?

Schon der letzte Winter war ja kein solcher mehr. Wir hatten zwar noch Schnee, aber sehr spät im Jahr. Wer jetzt um die Weihnachtszeit in Urlaub fahren will, der muss einfach damit rechnen, dass es keinen Schnee gibt. Und das wird vermutlich in Zukunft noch unsicherer. Es wird Sprünge geben, und diese Sprünge können dramatisch sein. Mal wird es ein besseres Jahr geben, sicherlich, aber dann wird es auch sehr schnell in eine andere Richtung weitergehen, dass die Schneelage im Winter noch schlechter wird. Das sehe ich als großes Problem für eine Industrie, die ja vom Schnee abhängig ist. Man kann in Europa bis minus drei Grad beschneien, das heißt, Sie können nur nachts Schnee erzeugen und müssen dann diesen Schnee verteilen, das kostet alles viel Energie. Aber es funktioniert. Also in Zell am See konnten wir tagsüber bei 16 Grad Lufttemperatur Ski fahren. Auch wenn die Schneequalität dann eigentlich nicht mehr gut ist. Und die Leute scheinen zu akzeptieren, dass es rundherum grün ist und sie auf einer weißen Bahn fahren. Aber es gibt die 100-Tage-Regel, die besagt: Wintertourismus lohnt sich nur, wenn es 100 Schneetage gibt, an denen man Ski fahren kann. Und es wird immer fraglicher, dass wir künftig auf diese 100 Tage kommen.

Das Zeitfenster für ökonomisch sinnvollen Wintertourismus schließt sich also?

Natürlich erhöht sich jetzt auch die Zahlungsbereitschaft, weil die Leute bereit sind, auch mehr zu zahlen für die wenigen verfügbaren Schneetage, die es noch gibt. Das funktioniert aber definitiv nicht mehr in den niedrigeren Lagen. Und dann haben wir natürlich die vielen neuen Wetterkapriolen, die wir jetzt schon sehr dramatisch spüren. Ich habe vor zwei oder drei Jahren erstaunt beobachtet, dass unser Kirschbaum vor dem Haus im November anfing zu blühen. Wir haben auch schon große Probleme im Weinbau, wenn eine frühe Blüte von einem Kälteeinbruch geschädigt wird. Das kann auch im Obstanbau große Probleme verursachen. Für den Tourismus ist natürlich nichts schlimmer als Regen, und wir erleben immer häufiger diese Starkregenphänomene, gerade auch in der Nebensaison, im Frühjahr, gerade dann, wenn Leute kurzfristig Urlaub machen können, weil dann noch Kapazitäten frei sind und man recht flexibel entscheiden kann. Tja, und die canceln dann auch kurzfristig, wenn es tagelang regnet. Oder sehen Sie sich die Wasserstände in Gewässern an. Da geht es nicht nur um die Schifffahrt, da verschieben sich auch die Strände an Badeseen und die Wasserqualität wird deutlich schlechter.

Wie sieht es aus mit der Mobilität im Tourismus? Sie haben ja in Ihrem Vortrag sehr kritische Worte zum Flugtourismus gefunden. Könnten sie das vielleicht nochmal kurz zusammenfassen?

Im internationalen Tourismus hat das Flugzeug eigentlich permanent an Bedeutung gewonnen. Und das ist ziemlich fatal für die Klimabilanz.

Das wird auch so weitergehen, oder? Oder fliegen die Leute jetzt weniger aus schlechtem Gewissen?

Es gibt tatsächlich eine kleine Gruppe, die weniger fliegt. Ich sehe schon, dass mehr Leute kritisch sind und auch versuchen, alternativ zu reisen. Aber das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Global herrscht eine unglaubliche Wachstumsdynamik im System.

Aus Stefan Gösslings Bericht „Climate change & the challenges for tourism“.

Ich habe schon von dem Begriff des „Revanche Tourismus“ gehört. Jetzt haben wir drei Jahre nicht Urlaub machen dürfen, deshalb holen wir das jetzt nach und machen erst recht genauso Urlaub wie früher – inklusive Flugreise.

Ja, aber das ist vor allem die westeuropäische Perspektive, die ich manchmal etwas unangemessen finde. Denn wir vergessen dabei, dass die meisten Menschen in der Welt nie Urlaub haben. Die allermeisten Menschen haben gar nicht die Möglichkeit zu fliegen. Dennoch: Viele Leute bei uns haben diese für sie wertvollste Zeit im Jahr schmerzlich vermisst und das holen sie jetzt nach. Das führt zu einem enormen Druck auf das europäische Tourismussystem.

Natürlich ist das für die europäischen Touristiker erstmal eine erfreuliche Nachricht. Die Buchungslage ist hervorragend, wenn auch aufgrund gestiegener Kosten nicht die Margen. Mehr Umsatz ist nicht gleich mehr Gewinn. Aber für die Umwelt sind das keine guten Nachrichten, oder?

Also was innerhalb Europas stattfindet, ist per se weniger problematisch als das, was nach draußen geht. Die größten Umwelteffekte bezüglich Klimawandel entstehen durch die Fernreisen. 30 Prozent der längsten Reisen verursachen 70 Prozent der Emissionen. Wenn in Europa gereist wird, dann bin ich als Klimaforscher schon glücklich. Und wenn die Buchungslage in Europa gut ist, dann ist das auch gut für unsere Wirtschaft, dann bleibt das Geld bei uns, gerade bei den kleineren Betrieben.

Aber dann kann man sich auch überlegen, wen wir denn eigentlich als Touristen wollen, dann kann man durchaus mal ein bisschen darüber nachdenken, ob wir diese Fernmärkte jetzt noch weiter bespielen wollen. Europa ist so langsam der einzige sichere Ort in der Welt, die einzig sichere Großregion, wo man mit gutem Gefühl Urlaub machen kann, und das erhöht die Nachfrage von außen. Das muss man nicht noch zusätzlich befeuern, meiner Meinung nach, sondern wir könnten uns eigentlich jetzt zurücklehnen und auch mal sagen: Okay, welchen Tourismus wollen wir in dieser eigentlich fantastischen Situation? Wollen wir wirklich weiter viel Geld ins Marketing in die Fernmärkte stecken und dann kommen die Gäste aus Fernost oder den USA nach Europa, bleiben aber nur ein bis zwei Tage in unserem Land, weil wenn sie schon mal da sind, wollen sie auch mehr als Wien oder Salzburg sehen und reisen sofort weiter nach Paris oder Florenz. Lohnt sich das wirklich? Wir können statistisch belegen: Je weiter die Anreise, desto kürzer die Aufenthaltsdauer. Das kann man nicht anders erklären, als dass eben auch Reisen ins benachbarte Ausland gemacht werden.

Es gibt auch noch andere Gründe, Fernmärkte genauer zu überdenken: In Norwegen haben wir große Verwerfungen gehabt, weil die chinesischen Touristen einfach andere Essgewohnheiten haben. Da isst man sehr viel lauter, und das irritierte die westeuropäischen Gäste. Das führte dazu, dass man in Hotels tatsächlich den Speisesaal geteilt hat.

Ähnliche Probleme hatten wir früher mit russischen Gästen und haben die Schweizer mit indischen Gästen, die zum Beispiel das Personal häufig sehr herablassend behandeln.

Es fällt schon auf, dass da manchmal eine sehr andere Kultur herrscht, und am Ende des Tages geht es ja auch um das Wohlfühlen bei einer Urlaubsreise. Und wenn das für Westeuropäer nicht mehr gewährleistet ist, dann müssen wir schon überlegen.

Kernaussagen

„Wintertourismus lohnt sich nur, wenn es 100 Schneetage gibt, an denen man Ski fahren kann. Und es wird immer fraglicher, dass wir auf diese 100 Tage kommen.“

„Global herrscht eine unglaubliche Wachstumsdynamik im System.“

„Wir könnten uns eigentlich jetzt zurücklehnen und auch mal sagen: Okay, welchen Tourismus wollen wir in dieser eigentlich fantastischen Situation? Wollen wir wirklich weiter viel Geld ins Marketing in die Fernmärkte stecken?“

„Je weiter die Anreise, desto kürzer die Aufenthaltsdauer. Das kann man nicht anders erklären, als dass eben auch Reisen ins benachbarte Ausland gemacht werden.“

„Sobald das Auto involviert wird, haben wir deutlich höhere Emissionen.“

„Wir können feststellen, dass in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern schon unglaublich viel richtig gemacht wird und das wird auch weiter vorangetrieben. Das macht eben einen Unterschied, ob der Mitarbeiter rausgeht aus dem Hotelzimmer und die Heizung wieder runterdreht oder das Fenster, das auf Kipp steht, wieder zumacht.“

Zu Teil 2 des Interviews geht es hier.

Interview: Thomas Askan Vierich
Titelbild: pixabay
31. Mai 2023
Zurück Nächster Artikel
office@hogast.at T: +43 (0)6246 8963 - 0
F: +43 (0)6246 8963 - 990

Fragen zu Ihrer Mitgliedschaft oder möchten auch Sie von den Angeboten der HOGAST profitieren? Kontaktieren Sie uns einfach und unverbindlich.

office@hogast.at
Icon Werben Werben im
HOGAST-BLOG/MAGAZIN Icon Werben