Auf dem Fachkongress „Standort:Stadt:Destination – Auf dem Weg zu einem Ökosystem der Gastlichkeit“ wurde über eine neue Rolle des Tourismus und der Tourismusorganisationen diskutiert. Weg vom reinen Marketing hin zu einer gemeinsamen Standortentwicklung.
Wir müssen Tourismus neu denken. Overtourismus, knapper und teurer Wohnraum für Einheimische in Tourismusregionen und der problematische Co2-Fußabdruck von Touristen sind Herausforderungen für den Tourismus der Zukunft. Aber es gibt auch Chancen, große Chancen: Tourismus schafft Arbeitsplätze, belebt eine Region, sorgt für eine bessere Infrastruktur, die auch Einheimischen nützt. Tourismus kann zur Entwicklung einer lebenswerten Region beitragen.
Die Betonung liegt auf „kann“. Viele Einheimische und zunehmend auch die Touristen selbst sehen eher die negativen Auswirkungen von Tourismus. Vor allem die, die nicht am Tourismus vor ihrer Haustür profitieren. Die im Stau stehen, die in einer Art Disney-World leben, in Innenstädten, die offenbar nur noch aus Souvenirshops, überteuerten und mittelmäßigen Restaurants mit „Touristen-Menüs“ und AirBnB-Wohnungen bestehen.
Amsterdam, Venedig, Berlin und Barcelona gehen gegen solche Auswüchse bereits proaktiv vor. Wien hat ebenfalls versprochen, die Flut der Mozart-Klone und Souvenirläden einzuschränken. Aber damit ist es nicht getan. Der Tourismus befindet sich generell in einem Transformationsprozess. Das war das Thema des Fachkongresses „Standort:Stadt:Destination – Auf dem Weg zu einem Ökosystem der Gastlichkeit“. Hier wurde eine neue Rolle der Tourismusorganistionen diskutiert.
„Der Tourismus und wir als Organisationen liegen genau an den Schnittstellen verschiedener Megatrends“, sagt Heike Döll-König, Geschäftsführerin Tourismus NRW (Nordrhein-Westfalen) im Interview mit TN-Deutschland. „Die Zeiten, in denen sich Touriusmusorganisationen aufs Marketing fokusiert haben, sind jedenfalls ein für allemal vorbei.“
Heute geht es um touristische Destinationsentwicklung und Standortentwicklung gleichzeitig. Das müsse man zusammendenken, sagt Harald Pechlaner, Professor für Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der Kath. Univ. Eichstätt-Ingolstadt. Dabei gehe es um soziale Mobilität über Nachhaltigkeit bis zu Wohnbau und Digitalisierung. Der Tourismus könne hier ein „Motor dieser Veränderungen“ sein.
Döll-König nennt als Beispiele Co-Working-Spaces, die ihr ganzes Umfeld neu gestalten und zu einer Belebung der Innenstädte beitragen können. Deshalb habe sie solche Gemeinschaftsbüros auf Zeit bereits mit in ihre Tourismusvermarktung aufgenommen. Weil hier auch „Touristen“ auf Zeit arbeiten können – und Kontakt zu Einheimischen finden. Gleiches gilt für Bibliotheken: Die sind längst zu Orten der Begegnung geworden. Auch Museen bieten mit ihren gastronomischen Angeboten und ihrer Architektur mehr als Ausstellungsflächen. Auch sie beleben ihre Umgebung. Bestes Beispiel dafür sind natürlich das MuseumsQuartier in Wien, die Museenlandschaft an der Donau in Linz oder das Kulturviertel in Krems.
Prof. Pechlarner nennt noch das Verschmelzen von Arbeit und Freizeit (Workation), Reisen, Freizeit und Arbeit (Bleisure) oder den Gesundheitssektor: Hier verschmelzen Lebenswelten. Die Digitalisierung bringt das alles näher zusammen – auch im Urlaub. „Moderne Destinationsentwicklung muss daher das Ziel haben, aus Gästen neue Einwohner zu machen.“ Das könne aber der Tourismus alleine nicht stemmen. Deshalb müssten hier Bereiche, die eher getrennt in Schubladen denken, zusammenarbeiten: Kultur, Wirtschaft, Tourismus. „Der Tourismus ist ein Vehikel, um Lebensräume zu erklären, für eine höhere Lebensqualität zu sorgen und die Motivation von Menschen aufzuzeigen, warum sie sich für eine Region entscheiden.“
Diesen Gedaken weitergedacht, könnte man auch sagen: Man kann aus Urlaubern zukünftige Mitarbeiter machen! Das wäre doch eine ganz neue Form des Recruitings! Erst bei uns Urlaub machen, dann bei uns arbeiten und bald zu uns übersiedeln…
Döll-König nennt ein simples, aber einleuchtendes Beispiel für die positiven Auswirkungen von Tourismus auf die Lebensqualität: „Am Ende wird man oft nicht einmal mehr erkennen, wer zum Beispiel auf einem gut ausgebauten Radwegenetz unterwegs ist. Ist das ein Einheimischer, der da mit dem Rad fährt, weil er zwischen Büro und Zuhause etwas für seine Gesundheit tut, oder fährt dort gerade ein Tourist, der die Gegend erkundet? Verschiedene, heute teils konkurrierende Anspruchsgruppen müssen und werden von den kommenden Transformationen profitieren.“ Und sie betont: „Wichtig ist, dass Prozesse künftig integrativ angelegt sind und wir als Verantwortliche mitlernen. Wenn wir, auch mit Hilfe digitaler Tools, das Denken von Prozessen vom Nutzer aus beginnen, werden wir auch zu einer besseren Balance in unseren Destinationen kommen.“
Prof. Pechlarner betont darüber hinaus, dass die Zuständigkeiten von DMO nicht an der Stadtgrenze oder Bezirksgrenze enden dürfen. Auch die organisatorisch-funktionale Trennung von Destinations- und Standortmanagement sei zu hinterfragen, besser gleich aufzulösen. „Vielleicht ist die Lösung, dass am Ende so etwas wie eine Lebensraumagentur entsteht.“ Heike Döll-König nennt das ein „Ökosystem der Gastlichkeit“.
Wenn man das Ganze dann auch noch streng unter der Prämisse der langfristigen Nachhaltigkeit denkt, könnte das tatsächlich zu einem „neuen“ Tourismus führen – von dem alle profitieren.
Bilder: Louis Hansel/Unsplash, Tourismus NRW e.V./Ralph Sondermann, Pechlaner/Privat
Beitrag: Thomas Askan Vierich
9. August 2021
Fragen zu Ihrer Mitgliedschaft oder möchten auch Sie von den Angeboten der HOGAST profitieren? Kontaktieren Sie uns einfach und unverbindlich.
office@hogast.at