Probleme mit Mitarbeitern? Zu hohe Miete? Überhaupt zu hohe Fixkosten? Warum nicht den Aufwand reduzieren und ein Restaurant ohne Gastraum betreiben? Oder sich zeitlich diversifizieren? Das nennt man in den USA „Ghost Kitchen“, ein Trend, der auch bei uns während der Coronakrise Einzug in die städtische Gastroszene genommen hat.
Ghost Kitchen: Ein etwas reißerischer Begriff. Denn eine „Geisterküche“ ist zunächst einfach ein gastronomischer Betrieb, der voll auf Delivery setzt. Oder seine an bestimmten Tageszeiten brach liegende Küche für ein weiteres Geschäftsmodell nutzt. Man braucht nur eine funktionstüchtige Küche (oder teilt sich eine mit Partnern) – am besten in einem Wohngebiet, dort sind auch die Mieten niedriger, oft stehen sogar Lokale leer. Die Kundschaft wohnt um die Ecke, denen man das Essen kostengünstig und frisch gekocht liefert. Man kann es auch halbfertig zum Fertigkochen bringen. Dafür braucht man in der Stadt nicht einmal ein Auto – ein Rad oder ein E-Scooter genügen. Zwei ehemalige Kellnerinnen oder Kellner schult man zu Boten um. So kann man mit überschaubaren Kosten und weniger Mitarbeitern seine Umsätze machen. Theoretisch.
Eva Eppard, eine bekannte deutsche Fernsehköchin und Inhaberin des Restaurants Eppard in der 100 Guldenmühle in Appenheim (Rheinland-Pfalz), sagt: „Am Ende wird der Markt entscheiden, ob ein solches Konzept langfristig funktionieren kann. Ich persönlich empfinde mich aber in erster Linie als Gastgeberin, die ihre Gäste zwar mit kulinarischen Leckereien beglückt – aber auch mit einer ganzen Portion Erlebnis: Ambiente, Service, Tischnachbarn, persönlicher Kontakt und vieles mehr…“ Sie vergleicht Delivery mit einem Videoabend zu Hause und einen Restaurantbesuch mit einem „richtigen“ Kinoerlebnis.
Nun leiden die „richtigen“ Kinos angesichts von immer mehr Streamingangeboten für zu Hause unter massivem Zuschauerschwund. Könnte das Gleiche nicht auch in der Gastronomie passieren? In den USA passiert es. Dort haben Restaurants massive Probleme mit Gästeschwund. Schon vor Covid. Was aber auch daran liegen mag, dass viele Mittelklasserestaurants in den USA („Diner“) eher ungemütlich und austauschbar sind. Daher setzen in den USA auch eingeführte Marken wie Chipotle voll auf das Ghost Kitchen-Konzept: Chipotle hat im November 2020 den ersten rein digitalen Gastbetrieb in New York eröffnet. Gäste müssen im Voraus ihr Essen bestellen – entweder auf der Website von Chipotle oder per App. Sie holen es sich dann vor Ort ab. Idealerweise haben sie es auch schon digital bezahlt. In China boomen Ghost Kitchens noch mehr, da gibt es Abertausende davon.
Eppard hat während der Covid-Krise auch auf Delivery gesetzt, aber eher notgedrungen: „Der Aufwand und die Kosten dafür sind immens. In ‚normalen‘ Zeiten ginge das daher nur mit deutlich höheren Preisen, denn wir haben eine ganze Mühle – inklusive Garten – als Gastraum, die dann als totes Kapital ungenutzt bliebe.“ Der Witz bei der Ghost Kitchen ist aber eigentlich, dass man von vorneherein gar keinen Gastraum hat. Also auch kein totes Kapital. Das gibt auch Eppard zu: „Ist der Betrieb von vornherein so angelegt, kann das Konzept finanziell schon funktionieren.“
LOGISTISCHE HERAUSFORDERUNGEN
Sie sieht aber viele logistische Herausforderungen beim Delivery: „Es fängt schon in der Küche und der Speisenauswahl an. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es am gelieferten Buffet keine Pommes gibt? Vieles lässt sich einfach nicht ohne Qualitätsverlust warmhalten oder aufwärmen. Und ich möchte meine Kunden nicht dazu bringen müssen, die halbe Arbeit in der eigenen Küche selbst machen zu müssen. Weiterhin muss eine spezielle Transportverpackung vorhanden sein, die entweder Einweg – also oft umweltschädlich – oder Mehrweg mit dann entsprechender Rückführung zu uns ist. Im Auto muss ein Ofen oder Hold-o-mat, für kalte Speisen ein Kühlschrank vorhanden sein. Viele Speisen sind zudem nur im Vakuum servierfähig.“
Natürlich gibt es heute auch umweltfreundliche Einwegverpackungen aus kompostierbaren Stoffen. Und Anbieter von TK-Pommes, die das Problem mit dem Warmhalten gelöst haben. Ich kenne keinen „Delivery-Hero“, der mit Ofen im Auto herumfährt. Die schnallen sich das Essen in ihren Isolierrucksack und ab geht die Post.
Es ist natürlich auch immer eine Frage des Anspruchs: „Man kann hochwertiges Essen schließlich überhaupt nicht mit salonfähigem To-Go-Essen wie Pizza, Pasta, Salat etc. vergleichen“, sagt Eppard. „Um die Qualität, die die Speisen direkt nach der Zubereitung haben, auch noch eine Stunde oder später zu gewährleisten, muss ein großer Aufwand betrieben werden. Der wiederum frisst die eingesparten Kosten eines nicht vorhandenen Gastraums wieder auf. Und es ist auch eine Frage der Restaurant-Kultur: Nur ‚ganz gut‘ zuhause essen und sattwerden oder einen Abend erleben, über den man dann sagt: ‚Wow – das war richtig klasse, ein rundum toller Abend, an dem einfach alles gestimmt hat!‘“
Da müssen wir ihr recht geben. Vielleicht sollte man sich (zunächst) auf das schnelle Mittagsgeschäft mit Suppen, Pasta und eben Salat konzentrieren. Dann sollte man aber eher nicht einen Standort in Wohnbezirken wählen, sondern in Gewerbezentren oder Innenstädten mit vielen Büros. Momentan kehren die Menschen aus dem Homeoffice wieder zurück in ihre angestammten Arbeitsplätze. Ich bin mir sicher, dass sich ein ins Büro geliefertes Mittagsmenü kostenmäßig gegenüber einem Menü im Gasthaus für unter zehn Euro rechnet. Mehr sind die Leute eher nicht bereit für ihren Mittagstisch zu zahlen. In der Kantine ist es oft noch billiger. Aber die wenigsten Betriebe haben eine Kantine.
In Wien gibt es bereits einige dieser „Geisterküchen“, manche nennen sie auch „virtuelle Restaurants“ oder „Fake-Restaurants“. Irgendwie scheint sie keiner zu mögen. Auch die Wirtschaftskammer beobachtet das mit hochgezogenen Augenbrauen. Bei Mjam heißen sie Baba Noni, Gangnam Kitchen, Mamacita, Holy Chicken, Blattgold oder Beste Freunde Burgergrill. „Beim Restaurant Baba Noni – Modern Oriental Kitchen in der Semperstraße in Wien gibt es Healthy Fast Food für alle, die gerne online Essen bestellen, wenn sie mal gestresst von der Arbeit nach Hause kommen und im Kühlschrank gähnende Leere herrscht“, steht in der Beschreibung von Mjam.
An der angebenen realen Adresse gibt es aber gar kein „Baba Noni“, sondern das ganz normale Restaurant „Milons“ – mit Gastraum. Außerdem soll es hier noch das „Blattgold“ geben. Offenbar betreiben die Besitzer des Milons drei Lokale: ein stationäres und zwei virtuelle. Letztere existieren nur bei Mjam. Ein Problem? Eher eine Frage des Marketings. Mjam beschreibt solche Lokale als „Delivery-Only Restaurants“ – betreibt also nicht wirklich Etikettenschwindel. Außer dass der Betreiber dieser Restaurants immer Delivery Hero HF Kitchens GmbH ist – also der deutsche Mutterkonzern vom österreichischen Mjam.
Oft wird das Essen für solche „virtuellen“ Restaurants auch in einer gemeinsam betriebenen Großküche gekocht, die Delivery Hero gehört. Lokalbetreiber agieren als Franchisenehmer unter erfundenen Marken wie „Gangnam Kitchen“. Das kann man zurecht als wenig transparent geißeln. Aber am Ende zählt, was zu Hause auf die Teller kommt. Am Ende entscheidet der Kunde, ob er lieber zu Hause aufgewärmtes Essen isst oder das Erlebnis Restaurant haben möchte (wo er natürlich auch oft Aufgewärmtes serviert bekommt, machen wir uns nichts vor).
MJAM SETZT AUF GHOST KITCHEN
Der Gastronom muss rechnen, was sich für ihn lohnt. Mjam hat jedenfalls angekündigt bis Ende 2021 das Angebot von Ghost Kitchens stark auszubauen. Das Konzept funktioniere nicht nur in Wien, sondern auch in kleineren Städten. „Wir bei Mjam sprechen statt von Geisterküchen oder Ghost Kitchens eher von ‚Concepts‘. So bezeichnen wir die virtuellen Restaurantmarken, die wir intern entwickeln und dann damit an bereits bestehende Restaurants herantreten“, erklärt Mjam-CEO Artur Schreiber gegenüber Gastronews. „Wir möchten mit den Concepts keine Konkurrenz zu unseren Restaurant-Partnern aufbauen, sondern sehen sie als Zusatzgeschäft, mit dem die Restaurants ihren Umsatz steigern können.
Besonders während der Corona-Lockdowns und der damit einhergehenden Gastronomie-Schließung haben sich die Concepts für viele Restaurants als ein weiteres Standbein bewährt, mit dem sie ihre Umsatzeinbußen zum Teil wieder ausgleichen konnten (…) Darüber hinaus können die Restaurants durch die Concepts ihre Küchen noch besser auslasten und ihre Prozesse dafür nutzen, neben der angebotenen Cuisine auch noch eine weitere kulinarische Richtung anzubieten. Das macht vor allem in kleineren Städten Sinn, in denen die kulinarische Auswahl nur eingeschränkt verfügbar ist. Dort können Restaurants zusätzlich stark nachgefragte Gerichte anbieten, ohne die wirtschaftlichen Risiken einer Restaurant-Eröffnung einzugehen. Wir investieren derzeit sehr stark in die Concepts und möchten sie dieses Jahr landesweit massiv ausbauen.“
Thomas Primus von Foodnotify sieht das Konzept in seinem Blog durchaus positiv: „Restaurants nutzen ihr bestehendes Küchenpersonal, können aber bei den Lebensmittelkosten sparen und die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln reduzieren. Betriebsstätten können nun während der Öffnungszeiten als Geisterküche für eine neue, virtuelle Marke genutzt werden. Dies erfordert keine Änderung in der Lieferkette, da die Rohstoffe ohnehin in den Gastbetrieben lagernd sind. Die Erweiterung um einen neuen Geschäftszweig mit einer unterschiedlichen Zielgruppe ermöglicht es den Eigentümern auch, arbeitslose Mitarbeiter wieder einzustellen. Lediglich das Sortiment und die zubereiteten Speisen ändern sich.(…) Es gibt auch Restaurants, die von 18 Uhr bis 2 Uhr morgens beschäftigt sind. Die Räumlichkeiten würden sie gerne während der Leerzeiten weitervermieten, um die Kosten auf die ungenutzte Zeit aufzuteilen.“
Bild: pixabay; Bild Eva Eppard: Saron Duchardt
Beitrag: Thomas Askan Vierich
29. Juli 2021
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