Corona hat die Erwartungen an Urlaub verändert – vor allem bei jungen Menschen. Während viele Reisende vor Corona das schnelle Erlebnis suchten, geht es jetzt um „Resonanzerfahrungen“. Und die kann der Reisende auch im näheren Umfeld bekommen. Das ist eine Chance für heimische Tourismusbetriebe junge heimische Menschen zu gewinnen, die sonst eher dazu tendieren in die Ferne zu schweifen.
Die Planung von Urlaub und Reisen unterscheidet sich bei Reisewilligen laut einer Befragung des IFT (Die österreichische Tourismus- und Freizeitwirtschaft: Corona and beyond. Eine Branchenanalyse. Herausgegeben vom Arbeitsmarktservice Österreich, 2021) vor allem zwischen der Altersgruppe der Jüngeren (15 bis 34 Jahre) und allen darüber liegenden Altersgruppen. 85 Prozent der jüngeren Menschen geben an, eher einen Auslandsurlaub statt eines Inlandsurlaubes anzupeilen. Davon würden sogar 38 Prozent gänzlich auf eine Reise verzichten, sollte ein Auslandsaufenthalt nicht möglich sein.
Daraus und im Hinblick auf die demographische Entwicklung können für die Angebotsgestaltung in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft zwei Rückschlüsse gezogen werden. Zum einen gilt es zu überlegen, wie die Zielgruppe der Jungen für Inlandsurlaube verstärkt begeistert werden kann, wobei die Lust am Kennenlernen anderer Länder, der Wunsch, die Welt zu entdecken vermutlich schwer zu kompensieren sein wird. Dabei sollte immer im Auge behalten werden, dass diese Zielgruppe der 15- bis 34-Jährigen keinesfalls homogen ist und aus vielen Untergruppen besteht, von denen einige wiederum sehr affin für Inlandsangebote sein können: Jungfamilien etwa, die mit kleinen Kindern noch keine Fernreisen antreten wollen, Kulturinteressierte, für die die vorhandene Breite der Angebote zielgruppenadäquat kommuniziert und präsentiert werden muss oder Sportbegeisterte, für die im Winter wie im Sommer die Trendsportarten bedient werden müssen.
In der IFT-Studie ist viel von „Resonanztourismus“ die Rede. Die Individualisierung als globaler Megatrend trage im positiven Sinne dazu bei, dass der Mensch stärker als Person wahrgenommen wird, „die sich mit ihren Besonderheiten, aber auch mit ihren Bedürfnissen mitunter deutlich von den Gruppen, denen sie aufgrund von Geschlecht, sozialer, demographischer, ökonomischer, kultureller Merkmale zugeordnet wird, unterscheidet. Losgelöst von traditionellen Rollen und Zuordnungen wird Selbstverwirklichung zum Leitmotiv, in dessen Gefolge sich neue Zugehörigkeitsgefühle zu neu definierten Gruppen (Communities) bilden“. Das gelte insbesondere für jüngere Zielgruppen.
Im wirtschaftlichen Kontext führe das dazu, dass Angebote und Services von Betrieben immer stärker auf das Individuum abgestellt und angepasst werden, was zu einer hohen Ausdifferenzierung, aber auch Flexibilität in den Services und Produkten zwingt. Der gleichzeitige Trend zur technischen Standardisierung widerspreche dieser Individualisierung nicht unbedingt, sondern trage auch zur Qualitätssicherung und Zuverlässigkeit individualisierter Angebote bei.
Dies betreffe auch den Arbeitsmarkt und die Aus- und Weiterbildung, die sich zunehmend durch Flexibilisierung, Modularisierung und Spezialisierung auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen TeilnehmerInnen, MitarbeiterInnen sowie Unternehmen anpassen. Entwicklungen, die auch im Tourismus beobachtet werden können und in der Angebotsgestaltung berücksichtigt werden müssen.
Der Trend zur Individualisierung führte aber auch zu der Erwartungshaltung, dass sich alles und jeder/jede an den persönlichen Ansprüchen oder den Ansprüchen der eigenen Community orientieren müsse. In der Tourismus- und Freizeitwirtschaft hat sich vor dem Hintergrund dieser Individualisierung eine geradezu unüberschaubare Fülle an Reise- und Urlaubsangeboten zu einer fast unbegrenzten Auswahl an verschiedenen internationalen Destinationen entwickelt. Dieses Angebot wurde überdies möglichst flexibel an die individuellen Bedürfnisse der Reisenden angepasst oder zunehmend von diesen selbst zusammengestellt. Das Zukunftsinstitut spricht von einem „Überfluss an Angeboten und Optionen“, die Reisende vor die Herausforderung stellte, aus dem breiten Angebot an verschiedenen Urlaubsorten und -typen auszuwählen.
Anja Kirig vom Zukunftsinstitut erwartet nun, dass durch die gegenläufigen Erfahrungen der Covid-Pandemie hier eine Bewusstseinsänderung eintritt: „Im Vorfeld der Corona-Pandemie gab es ein Überangebot der Reisemöglichkeiten. Die Menschen mussten sich bei der Urlaubsplanung fragen: Was möchte ich eigentlich machen, wohin möchte ich fahren und mit wem. Das hat sich stark geändert. Es lässt sich mittelfristig sagen, dass hier eine neue Bewusstseinskultur in Reiseentscheidungen stattfinden wird.“
Die erwähnte neue Bewusstseinskultur beschreibt Kirig mit dem Begriff „Resonanztourismus“, der die Sehnsucht der Gesellschaft nach Beziehung widerspiegle. Der Begriff leitet sich vom Soziologen Hartmut Rosa ab, der 2016 eine Publikation zur Soziologie der Beziehungen verfasst hat: „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“. Resonanz bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem eine lebendige Kommunikation. Entstanden sei diese verstärkte Sehnsucht nach Beziehungen als Gegenentwicklung zum Megatrend der Individualisierung und der damit bis zu einem gewissen Grad verbundenen zunehmenden Entfremdung der Gesellschaft. Im Tourismus hat sich dieser Trend der Individualisierung vor Corona dahingehend bemerkbar gemacht, dass viele Menschen ihren Urlaub auf kurzfristige Erlebnisse oder schnelle Besichtigungen vieler Sehenswürdigkeiten auslegten: „Wir hatten in den letzten Jahren eine sehr starke Tendenz in Richtung Erlebnisurlaub statt Erfahrungsurlaub“, sagt Kirig.
Das scheint sich durch die Pandemie laut Anja Kirig verändert zu haben: „Die These des Resonanztourismus besteht darin, dass die Reisenden unterwegs diese Resonanzerfahrung suchen. Diese Resonanz scheint in eine Erfahrung zu münden, die nachhaltigen Effekt hat und dabei über den Urlaub hinausgeht.“
Das bedeutet also, dass Menschen zunehmend bestrebt sind, sich im Urlaub nachhaltige Erlebnisse zu schaffen, und das insbesondere über soziale Beziehungen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass am Urlaubsort Kontakt zu Menschen gesucht wird, etwa zu Einheimischen, anderen UrlauberInnen, aber auch verstärkt zu Urlaubsanbietern oder GastgeberInnen. Resonanz kann ebenso über Kontakt zur Natur und Tieren hergestellt werden, denen Urlaubende einen Sinn zuschreiben, etwa das eigene Wohlbefinden oder der Schutz von Natur und Tieren. Alpakawanderungen bekommen so einen ganz neuen Wert. Oder das Erlebnis tatsächlich noch intakter Natur in einem Nationalpark.
Die Sinnzuschreibung von Reisen und der Ruf nach Beziehung ist aber kein neues Phänomen. TrendforscherInnen wie Anja Kirig beobachten allerdings auf großen touristischen Märkten, dass sich der Trend in den letzten Jahren tatsächlich vom Erlebnis- hin zum Resonanztourismus entwickelt. Entscheidende AkteurInnen sind bei diesem Trend aber nicht nur die nachfragenden UrlauberInnen, sondern insbesondere die Urlaubsanbieter, die sich zunehmend auf die neuen Bedürfnisse der Urlaubenden vorbereiten müssen, etwa das hierfür nötige Know-how erwerben müssen. Dazu gehören die entsprechenden Kompetenzen in der Beratung und Kommunikation ebenso wie der Zugang zu erforderlichen Sachinformationen wie Netzwerken. Vor allem braucht es aber eine entsprechende Einstellung der MitarbeiterInnen und die Einplanung der zeitlichen Ressourcen, damit den Gästen entsprechende Resonanz gewährt werden kann. Laut Kirig kann sich dieses Umdenken bei Urlaubsanbietern auch darin ausdrücken, dass Hotels künftig eigene ResonanzmanagerInnen beschäftigen, die sich mit diesen Bedürfnissen der Urlaubenden befassen.
Die großen Chancen liegen in einem Tourismus, der nicht bloß Maß an noch mehr digitalen Daten, sondern an menschlichen Entwicklungsbedürfnissen und vor allem dem Bedürfnis nach Beziehungen nimmt. Ein Resonanz-Tourismus, der den Weg zurück zu echter Gastfreundschaft ebnet. Für Unternehmen der Branche empfiehlt das Zukunftsinstitut dabei vier Reflexions- und Umsetzungsschritte:
„Resonanztourismus gibt letztlich Antworten auf die wachsende Nachfrage von Touristen nach „echten“ Reiseerfahrungen und „authentischen“ Urlaubserlebnissen“, schreibt das Zukunftsinstitut. „Sie wollen auf Reisen „berührt“ werden und Lebensqualität erfahren. Denn es geht im Tourismus per se um ein freundschaftliches Angebot von Lebensqualität und gelingenden Beziehungen – und damit um das Erlebnis menschlicher Resonanz.“
Vgl. Kirig, A. (2020): Tourismus nach Corona. Alles auf Resonanz. Zukunftsinstitut.de. Internet: www.zukunftsinstitut.de/artikel/tourismus-nach-corona-alles-auf-resonanz
RESONANZTOURISMUS
Die „Zukunftsbühne Hinterberg“, koordiniert und betreut von Günther Marchner, mit Unterstützung von Karin Hochegger und Kerstin Böck, stellt „Neue Perspektiven für ländliche Regionen jenseits des Mainstreams“ in den Mittelpunkt.
Sie geht auf Spurensuche nach Zukunftspotenzialen und innovativen Ansätzen in der Region – mit Blick auf allgemeine wie europäische Entwicklungen: Mit einer öffentlichen Dialogreihe, einer Summer School für Studierende in Kooperation mit der Universität Salzburg sowie einer Besuchs-Rallye und einer Exkursion zu zukunftsweisenden Projekten.
Was sich hinter „Resonanztourismus“ verbirgt, stellen die Geschäftsführerin der Ausseerland-Salzkammergut-Tourismus GmbH, Pamela Binder, und der Tourismusexperte Reinhard Lanner am Freitag, 23. Februar 2024, zur Debatte – ab 19.30 Uhr im EIKE-Forum/Woferlstall, Kurpark 1, 8983 Bad Mitterndorf, E-Mail: office@eike-forum.at
Titelbild: pixabay Text: Thomas Askan Vierich
22. Januar 2024
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