Wie die (Post)Digitalisierung die DMO von morgen verändert. Wie die neuen Aufgaben im Tourismusmarketing und -management aussehen. Nicht jede digitale Sau im Dorf ist es wert geritten zu werden. Aber man sollte die Säue zumindest kennen. Und die Chancen, die sie am Ende des Tages vielleicht doch bieten könnten. Teil 2 unserer Miniserie zu neuen Herausforderungen im Tourismus.
„Macht Digitalisierung an dieser Stelle wirklich Sinn?“
„Die digitale Zukunft liegt in einer Weiterentwicklung zurück zu den Anfängen.“
„Digital ist das neue Normal.“
„Man muss nicht jeder Idee von Google, Amazon oder SAP hinterherlaufen.“
„Wir brauchen noch mehr mündige Digitalbürger.“
„Wir müssen dranbleiben, um entscheiden zu können, was wir davon haben wollen und was nicht.“
Lars Bengsch von der dwif-Tourismusberatung sagt: „Tourismusorganisationen stehen vor einem Umbruch: Ihr Aufgabenspektrum und ihr Selbstverständnis verändert sich. Heute geht es im Tourismus weniger um Marketing als um Management und Service. DMO müssen sich um Projekte und Prozesse kümmern – und das nicht nur im streng touristischen Bereich. Zu ihrer Zielgruppe gehören neben Besuchern: Betriebe, Beschäftigte und Bewohner. Ihr Tätigkeitsfeld ist der Lebensraum.
Konsulterin Maike Berndt ergänzt: „Digitalisierung und Nachhaltigkeit entwickeln eine große disruptive Kraft. Das sind übergeordnete Themen, die sich auf alle Aspekte der Wirtschaft und des Zusammenlebens auswirken.“ Dazu zählen im Bereich der DMO etwa Stakeholdermanagment, Gästelenkung, Mobilität und Infrastruktur. Die Lösung, um diese zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen, ist sein Netzwerk auszubauen.
Michael Dobmann beschäftigt sich zentral mit der Digitalisierung im Tourismus: „Das ist seit 15 Jahren ein Thema. Corona hat uns schonungslos die Defizite aufgezeigt. Digitalisierung ist eben mehr als Laptops und Videokonferenzen für’s HomeOffice.“ Es gehe grundsätzlich um eine Offenheit für Veränderung. Für dezidierte Digitalisierungsstrategien sei es bereits zu spät. Digitalisierung hört nicht mehr auf, das geht immer weiter. Früher haben wir Digitalisierung im Tourismus vor allem im Marketing und Vertrieb eingesetzt, heute geht das weit darüber hinaus. Digitalisierung müsse bei jedem Schritt mitgedacht werden und ist kein Selbstzweck. Digitalisierung soll Probleme lösen. Das heißt nicht, dass man jetzt überall digitale Lösungen implementieren muss. Man muss sie aber immer mitdenken, aber sollte sie auch mal weglassen. Die entscheidende Frage ist: Macht Digitalisierung an dieser Stelle wirklich Sinn?
Deswegen sprechen die Experten von dwif von der Post-Digitalisierung. Sie ist gekommen, um zu bleiben, aber der revolutionäre Zauber ist weg. Digital ist das neue Normal. Wir haben alle eingesehen: Nicht alle Heilsversprechen der Techkonzerne haben sich materialisiert. Wir sind im Umgang mit digitalen Lösungen viel mündiger geworden. Es ist mittlerweile zum so genannten Tech-Lash gekommen: Man muss nicht jeder Idee von Google, Amazon oder SAP hinterherlaufen. Im Gegenteil. Heute geht es eher um die Einschränkung des Einflusses dieser Konzerne. Wie gehen die mit unseren Daten um? Missbrauchen sie ihre Marktmacht? „Wir brauchen noch mehr mündige Digitalbürger“, sagt Dobmann.
Heute leben wir mit dem Web 2.0. Mit einer Plattformökonomie, mit wenigen, aber großen Playern. Die digitale Zukunft liegt in einer Weiterentwicklung zurück zu den Anfängen: Die Blockchaintechnologie wird zu einer willkommenen Dezentralisierung des Internets führen.
Auch wenn es an dieser neuen Technologie ebenfalls schon viel Kritik gibt: Ihre Server sind Stromfresser, Bitcoins sind höchst spekulativ, wir laufen Gefahr von einer neuen Technologie abhängig zu werden.
Aber die Blockchain gibt uns vielleicht die Chance uns von den übermächtigen Playern wie Airbnb oder Booking unabhängiger zu machen, weil wir die Transaktionskosten über die Blockchain senken können, damit auch die Kommissionen, und am Ende können wir günstigere Preise anbieten. Die Gefahr ist allerdings, dass auch mit der Blockchain am Ende wieder zu wenige profitieren werden.
Diese Idee kann mehr als eine neue Form von virtual reality sein. Dahinter steckt eine Weiterentwicklung des Internets: Die Verknüpfung der Dinge mit dem Internet (IoT), viele Firmen arbeiten bereits daran, nicht nur Facebook.
Kritiker sagen, dass Facebook mittels des Metaverse lediglich neue Einnahmequellen sucht, weil ihre klassischen Benutzerzahlen zurückgehen. Aber der Reiseverkauf könnte in 10 bis 15 Jahren tatsächlich über das Metaverse laufen. Es könnte dann virtuelle Reisen geben. Schon jetzt werden Grundstücke im Metaverse zu Unsummen verkauft.
Müssen DMO hier auch investieren? Das weiß man noch nicht, sagen die dwif-Experten. Aber es tun sich Chancen auf. Ein Marathon im Metaverse könnte behinderte Menschen inkludieren. Für die gleiche Zielgruppe könnten auch Orte erreichbar gemacht werden, die für sie bislang unerreichbar waren. Oder man führt Besucher in Naturschutzregionen, die für alle gesperrt sind. Oder wie wäre es mit einem Ausflug in die Arktis? Ganz ohne ökologischen Fußabdruck?
Diese Möglichkeiten zeigen auch auf, welche Anforderungen die Postdigitalisierung an uns stellt. Wir müssen frühzeitig eine Haltung gegenüber diesen Tendenzen entwickeln, damit wir ihnen nicht eines Tages hinterherlaufen müssen. Wir müssen dranbleiben, um entscheiden zu können, was wir davon haben wollen und was nicht.
Damit werden wir digital souverän. Das bedeutet nicht Open Source. Das bedeutet, wir werden fachlich souverän, nicht nur gegenüber den Versprechungen der Techkonzerne, sondern auch gegenüber politischen Gremien.
Man muss sich grundlegende Kompetenzen aneignen, „wegducken geht nicht mehr“, sagt Maike Berndt. Das bedeutet: Die touristische Produktentwicklung wird noch partizipativer. Das macht nicht mehr die DMO allein, das macht man gemeinsam mit verschiedenen Stakeholdern. Die DMO tritt eher als Vermittlerin auf, entscheidet, ob das jeweils zur Markenpositionierung passt.
Produkte im post-digitalen Tourismus müssen Erlebnisse mit Wow-Effekt liefern, gerne auch analog. Digital wird informiert. Die Summe der Informationen steigt ständig. Deshalb muss man darauf achten, dass die Kommunikation stimmt. Am besten verbreitet sich die Kommunikation in der jeweiligen Community von selbst. Dann ist sie authentisch und glaubwürdig. Maike Berndt spricht vom „analogen Sexappeal für mehr digitale Aufmerksamkeit“. Man muss die digital Natives triggern.
Aber: Digitale Tools sind kein Selbstzweck, manches ist einfach Unsinn und kostet nur Geld. Die Fragen sind immer:
Die DMO müssen sich fokussieren: Sollen wir Gaming einsetzen? Features aus dem Metaverse? Oder sollen wir warten, bis so etwas im Mainstream angekommen ist? Ist es dann nicht zu spät? Der Rat von Maike Berndt: Jetzt schon Prototypen entwickeln, die man dann einsetzen und weiterentwickeln kann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. „DMO müssen mutiger werden, Dinge ausprobieren, auch schon zu einem frühen Zeitpunkt!“
Man muss immer das Gesamterlebnis im Blick haben! Michael Dobmann zeigt das an Beispielen: Parkautomaten müssen heutzutage auch kontaktlos/bargeldlos funktionieren, vor allem wenn sie weit weg von anderer Infrastruktur am Eingang zu einem Nationalpark stehen. Noch besser: Man braucht gar keinen Parkautomaten, kann sein Ticket über eine App buchen. „Alltagsconvenience wird zum Qualitätskriterium. An vieles haben wir uns gewöhnt, das muss auch unterwegs im Urlaub funktionieren, auch am Land.“
Die Wirklichkeit sehe leider anders aus: „Die Schere geht immer weiter auf. Lieferdienste, Carsharing wird nur in Ballungsräumen angeboten. Die Zielgruppe, die aufs Land fährt, kommt aber genau aus diesem urbanen Raum, die hat Erwartungshaltungen, die dann vor Ort enttäuscht werden. Nicht gut für die Experience. Netflix muss am Hotelzimmer oder in der Ferienwohnung funktionieren. Es muss auch E-Roller am Land geben. Die Aufgabe der DMO ist es hier die Lücken zu erkennen und zu schließen. Möglichkeiten gibt es. Der große E-Roller Anbieter Tier schafft das auch am Land, zum Beispiel in der Schwäbischen Alb. Solche Lösungen muss man gemeinsam mit den Stakeholdern und in seinem Netzwerk diskutieren und umsetzen.
Maike Berndt betont in diesem Zusammenhang noch einmal das neue Ziel für die Arbeit der DMO: Lebensraum mit den vier B: Bewohner, Besucher, Beschäftigte, Betriebe. Die Aufgabe der DMO sei es, die Leistungsträger zu vernetzen, die Kommunikation zu verbessern und den Bewohnern zu kommunizieren, was sie vom Tourismus haben, einer besseren Infrastruktur, mehr Geschäft. Hier kann auch die Digitalisierung helfen.
Es geht darum Tourismusnetzwerke auf Landesebene und auf regionaler Ebene auszubauen. Allerdings zeigten bisherige Erfahrungen, dass die Zugriffe auf solche Netzwerke oft unter den Erwartungen blieben. Es findet einfach zu wenig Austausch statt, es bleibt eine Einbahnstraße. Dann muss man sich überlegen, auf welchen Kanal man setzt und wie man mehr Interaktion anregen kann.
Die Bürgerbeteiligung funktioniert oft nicht (mehr) analog. Jüngere Leute erreicht man so überhaupt nicht mehr. Citizenlab bietet hier digitale Lösungen an. Das Ziel ist mehr Ideen zu ventilieren, ein intensiverer Austausch. Das ist auf alle Fälle besser als jeder analoger Workshop mit letztendlich immer beschränkter Teilnehmerzahl. Digitale Lösungen machen die Verwaltung effizienter. Ganz wichtig: Erfolg wird messbar! Was aber wiederum selten wirklich erhoben wird. Man hätte damit aber gute Argumente gegenüber zögernden Stakeholdern.
Lars Bengsch betont noch einmal die Auswirkungen digitaler Prozesse auf Ressourcen und Arbeitsprozesse. Die entscheidende Frage sei: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Brauche ich wirklich das Metaverse? Oder vielleicht erstmal besser Inspirationen aus dem Gaming für eine jüngere Zielgruppe? Wie hoch wäre mein Aufwand für die Realisierung solcher Ideen? Habe ich die Ressourcen dafür? Wenn nicht: Möchte ich sie aufbauen? Brauche ich sie vielleicht langfristig ohnehin? Ganz wichtig: Man darf sich nicht zum Getriebenen machen lassen. Wenn es alle machen und ich noch nicht, ist es zu spät.
Fotos: pixabay Beitrag: Thomas Askan Vierich
7. Juli 2022
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