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Zukunft ist möglich!

Matthias Horx und sein Sohn Tristan vom Zukunftsinstitut gehen neue Wege. Mit Future:Projects versucht Tristan einen neuen wissenschaftlich fundierten Blick in die Glaskugel zu etablieren. Und möchte damit neue Trends setzen. Trends, die uns wirklich weiterbringen.

„Wie funkionieren Trends?“, fragt Tristan Horx in einem Vortrag von Future:Projects wie viele andere, die unser Leben gerade schwer belastet. Er verwendet den Begriff „Omnikrise“. Das sei eben keine „Stapelkrise“, sondern die „Krisenwirbel verstärken sich gegenseitig.“

Was es irgendwie auch nicht besser macht. Aber er möchte trotzdem Hoffnung schöpfen und verspricht: Jede Krise kreiert ihre Lösung. So wie jeder Trend seinen Gegentrend schaffe, ohne dass wir das lange Zeit mitbekommen. Wir müssen deswegen genauer hinsehen. Weil die Lösung irgendwo dazwischen warten könnte. Zum Beispiel würde „Vegan“ nicht die Welt retten. Aber auch nicht der Gegentrend „Beef“. Ob uns die Flexitarier erlösen? Vielleicht nicht. Aber sie sind in der Mehrheit. Und die Veganer dümpeln immer noch bei 3 Prozent herum. Sie sind nur lauter als der Rest.

Tristan Horx spießt auch die „digitalen Erlösungsphantasien“ auf. Aber: Das Leben sei immer noch „messy.“ Deshalb versucht Horx dialektisch alles unter einen Hut zu bringen und verkündet trotzig neue Trends, die Trend und Gegentrend vereinen: Flexicurity, Ecohedonism, Coopetition. „Megatrends funktionieren nicht mehr!“ Also hat er „Future:Projects“ gegründet, eine neue Sichtweise auf die Zukunft, die eine „preferable future“ prognostizieren SOLL, also eine bevorzugte, erwünschte Zukunft. Transformationen verlaufen zirkulär, nicht linear. Die ewige Wiederkehr des Gleichen, hätte Nietzsche das genannt. Bei ihm war das eher kein hoffnungsgebendes Szenario. Bei Tristan Horx soll es das sein.

Blick zurück und nach vorn

Deshalb verspricht er künftig mit den „Erzfeinden“ der Trendforscher zusammen zu arbeiten: den Historikern. Ein Blick in die Vergangenheit könne uns lehren, wie die Zukunft wird. Wissen Historiker schon länger. Jetzt auch die Zukunftsforscher, also gut. Auch wenn nicht jede Parallele gleich eine Wahrheit ist. Siehe die Zustände in der Weimarer Republik, die so gerne mit den heutigen in Deutschland verglichen werden. Meistens hinken solche Vergleiche.

Tristan Horx spricht von „Eskalationsphasen“, die zu einem „Epochenbruch“ führten. Das würden wir gerade erleben. Tröstend kann man dazu anmerken: Solche Phasen hatten wir schon öfters. Pest, Buchdruck, Reformation, Französische Revolution, Industrialisierung, Taylorismus, Spanische Grippe, Globalisierung, Personalcomputer, Balkankriege, Corona, Ukrainekrieg. Manches hatte furchtbare Folgen für viele Millionen Menschen. Manches hat tatsächlich das Leben vieler verbessert. Die Welt steht auf alle Fälle immer noch. Insgesamt, im Rückspiegel betrachtet, ist es tatsächlich BESSER geworden.

Sagt auch Tristan Horx: „Der Weltuntergang kommt nicht, es wird immer besser!“ Das „Old Normal“ führe zu Turbulenzen. Und werde zum „New Normal“. Blöd nur für die, die mitten in den Turbulenzen feststecken. „Das Alte ist noch nicht weg, das Neue noch nicht da.“ Er findet das „spannend“. So kann man es auch sehen.

Synthese statt Trend und Gegentrend

Also: Nicht mehr über Individualisierung, Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel sprechen (meistens jammern)! Das bringt uns nicht weiter. Stattdessen: Future:Systems! Lasst uns neue Buzzwords erfinden: Eco-Transition! Co-Society! Hybride Arbeit! Humane Digitalität! Also Humane Digitalität soll zeigen, dass die Zukunft in der Vernetzung zwischen Technik und Mensch liegt. Das würde (solle!) uns zu neuen Gesellschaftsformen führen. Nun gut, denkt der skeptische Lyotard-Leser: Will uns da jemand im 21. Jahrhundert eine neue „Große Erzählung“ aufschwätzen? Nachdem uns doch Jean-Francois Lyotard, der große französische Philosoph der Postmoderne, in den 1980ern glaubhaft versichert hatte, diese Erzählungen seien auserzählt? Nach Kommunismus, Sozialismus, Faschismus, Nationalismus, you name them, jetzt also „humane Digitalität“?

Die Digitalisierung laufe seit drei Jahrzehnten, sagt Horz mit Blick in den Rückspiegel. Der Gegentrend wäre die „Re-Humanisierung“. Horx lässt leider offen, was er damit genau meint. Die Liebe zum Analogen, zum nicht ausrechenbaren Nichtperfekten? Plattenspieler statt CD-Spieler? Ein Instrument spielen (egal wie dilettantisch) statt einfach nur streamen? Zumindest hält nicht nur er die Digitalisierung für die radikalste Veränderung der Gesellschaft seit dem Buchdruck. Und sie habe nach drei Jahrzehnten zu einer „digitalen Ernüchterung“ geführt. Wir leben in „übervernetzten Realitäten“ oder drohen, dahin zu geraten. Da fallen uns die neuen Smart Meter ein, die jetzt in jeden österreichischen Haushalt eingebaut werden, weil es die Energieversorger so wollen. Wo ist der Nutzen?, fragen viele. Bis jetzt scheint das nur zu kosten.

Tristan Horx / Foto: Klaus Vyhnalek

Eine neue Art der Vernetzung

Der Gegentrend zur allgegenwärtigen, oft womöglich unnötigen Vernetzung: Recoupling! Auf Deutsch: „reflektierte Wiedervernetzung“. Und damit meinen Tristan Horx und seine ZukunftsforscherInnen nicht Digital Detox, sondern soziale Netzwerke, die die Gemeinschaft erhalten und persönliche Schutzräume bieten. Jetzt wird’s interessant. Dazu passt dann auch der Subtrend Co-Society. Das umschreibt das soziale Miteinander in einer hypervernetzten und gleichzeitig fragmentierten Gesellschaft. Gut gegen Polarisierung! Und dringend gebraucht. Damit sind neue gesellschaftliche Brückenschläge gemeint, neue Beteiligungsformen, partizipative politische Prozesse, neue „dritte“ Orte.

Haben Sie schon von den „dritten“ Orten gehört? Dritte Orte sind nicht der Arbeitsplatz und nicht Daheim. Das sind Orte, wo man freiwillig hingeht und andere Menschen trifft, Gleichgesinnte oder auch ganz andere, Leute, die man mag. Das kann ein Stammcafé sein, eine Parkbank, der Sportverein, Fitnessclub, Schachklub, städtische Bibliotheken oder auch ein Lieblingsblog im Internet. Hier findet man Ansprache, Kontemplation und Trost. Begegnungsräume. Ganz wichtig für die Seele.

So etwas kann man auch planmäßig errichten. So geschehen in Kopenhagen mit dem Superkilen Park. Ein kunterbunter öffentlicher Raum in einem Migrantenviertel mit kosmopolitischem Mittelschichtsanteil. Hier gibt es einen marokkanischen Brunnen und eine chinesische Palme. Herausgekommen ist ein „ikonischer Stadtraum“, wie die „Bauwelt“ schreibt. Aus einem Fahrradweg wurde etwas Größeres, Verbindendes: Architektur mit sozialen Funktionen, „Stadtmobiliar im Zeichen der Heterogenität“ („Bauwelt“), entstanden mit ganz viel Mut, Fantasie, fachübergreifender Expertise und Bürgerbeteiligung.

Bewusst die Zukunft entwerfen

Oder nehmen wir den Begriff „Conscious Economy“, der den Wandel in der Arbeitswelt und der Wirtschaft beschreiben soll. Den stellt Lena Papasabbas von Future:Systems vor. Das würden wir mit dem „Conscious Rap“ vergleichen, der Anfang der 1990er die Antwort auf den ausufernden, marktbeherrschenden und für viele unangenehmen Gangsta-Rap war und neue Themen setzte: statt Gewaltverherrlichung bot er Humor (De La Soul), statt Ghetto-Mythologisierung beschreibt er das Leben der ganz normalen, auch weißen Mittelklasse (A Tribe Called Quest, Atmosphere). Übersetzt auf die Ökonomie hieße das: Sinnökonomie VS Leistungsgesellschaft.

So wie der Gangsta-Rap sich häutete und weiterbestand, wie auch der Conscious-Rap schnell zum Jazz-HipHop wurde und am Ende der 1990er Jahre mit dem Gangsta-Rap verschmolz, so könnte die Profitmaximierung tatsächlich zu einem alten Paradigma herabsinken. Die Gegenkräfte sind schon da (und werden von der „Old School“ bekämpft): die Win-Ökonomie der Generation Y wird von der Sinnökonomie der Generation Z abgelöst. Dazu stellt Papasabbas noch den Subtrend „Qualitative Growth“. Nicht die radikaleren Ansätze Degrowth oder Postgrowth. Denn: „Wachstum brauchen wir! Nur ein anderes Wachstum. Im DANN verankert.“ Das meint: Es solle künftig um mehr als Profit und Geld gehen. In diesem Zusammenhang ein gern zitiertes Beispiel: Das Brutto-National-Glück in Buthan.

Scheint dort tatsächlich zu funktionieren als Maßstab für wahren Fortschritt. Weiters der Hersteller von Freizeitkleidung Patagonia. Das kalifornische Unternehmen verfolgt seit 50 (!) Jahren einen alternativen Wachstumsgedanken. Ihnen geht es um gelungene Beziehungen, Umweltschutz, Diversität. Alle Gewinne fließen in eine Stiftung für Umweltfragen. Geht doch!

Die Mindshift Revolution

Papasabbas spricht in diesem Zusammenhang von der „Mindshift Revolution“ und meint damit „neue Werte“ und packt wieder Trend und Gegentrend aus: Individualisierung VS Solidarisierung. Herauskommen neue solidarische Bewegungen wie Black Live(s) Matter oder MeToo. Ab jetzt geht es um Achtsamkeit, darum, die eigene Rolle zu hinterfragen, einen neuen Anfang zu setzen. Der dazu passende Subtrend: „Neo-Spirituality“. Nicht die Wiederkehr uralter, konservativer Religionen, sondern Meditationstechniken, ganzheitliche Gesundheitskonzepte, „mehr Yoga als Fußball“. Aber auch die Renaissance der „Esoterik-Welt“ mit neuer Sinnsuche. Man spricht vom „Religions-Metaverse“, ein „God Pod“ für alle Glaubenssysteme, wo man sich seinen eigenen Gott bauen könne…

Judith Block von Future:Systems stellt den Begriff „Glocalisation“ vor. Davon hat man schon gehört. Das ist die Verschmelzung von Globalisation und Localism (Radikale Regionalität): Dazu passt der Subtrend „Urban Villages“: Städte als lokaler Player mit eigener Kultur und internationaler Ausstrahlung (Kopenhagen, Madrid, Wien). In der Stadtgestaltung wird Urbanes hoch gehalten, aber die einzelnen Quartiere sollen ihre Identität behalten oder wiederbekommen. Der Kiez, der Bezirk macht im Grunde dörfliche Angebote: soziale Kontaktmöglichkeiten auch im öffentlichen, kommerzfreie Räume, „Heimatangebote“. Block spricht von der „15-Minuten-Stadt“, in der alles innerhalb von 15 Minuten erreichbar ist, am besten zu Fuß. Auch sie erwähnt die oben genannten „Third Places“. Das erfordert eine neue Art des Bauens, neue Plätze, neue Fassaden, wettergeschützte öffentliche Orte (Schatten!). Vorbild sind die Altstadtkerne mittelgroßer Städte.

So könnten Städte auch auf die Herausforderung der Migration reagieren (siehe Superkilen Park). Denn die Migration wird zunehmen, es wird zu einem Bevölkerungsaustausch kommen, aber auch zu einem Wissensaustausch. Das bietet Chancen, die man nutzen muss. Das macht urbane Räume vielfältiger. Darauf muss der Städtebau reagieren und einen „Plural von Heimat“ schaffen. Blick nennt mit Offenbach am Main ein Beispiel, wo das bereits gelungen ist. Die mittelgroße Stadt in Hessen bietet Menschen aus 150 Nationen eine neue Heimat: Unter dem Motto „OF loves you“ fördert die Stadt lokale Unternehmen, Kultur – und auch Räume für ein neues, temporäres Arbeiten.

Zu diesem neuen urbanen Denken gehört auch die berühmte Schwammstadt, die sich auf die Klimaveränderung vorbereitet – mit viel Begrünung, Flächenentsiegelung, Wasserrückhaltebecken. So etwas geschieht in Wien (Umgestaltung des Pratersterns). Vorbild ist auch hier wieder Kopenhagen: der „Klimapark“ Enghavepark liegt in einem immer wieder überfluteten Viertel. Also hat man aus einem Wasserrückhaltebecken einen Park gemacht (oder umgekehrt). Ähnliche Pläne verfolgen zumindest die Wiener Grünen mit einem Rückbau des Wienflusses: Was jetzt noch eine l(i)eblose Betonrinne ist, könnte für Hietzing und Penzing zu einem attraktiven Naherholungsraum werden. Und auch die Stadt kühlen.

Die Zukunft ist ein Möglichkeitsraum. Hat ein anderer Zukunftsforscher gesagt. Harry Gatterer vom österreichischen Ableger des Zukunftsinstituts. Möge er recht behalten! Möge Tristan Horx eine „preferable future“ beschreiben, die auch Realität wird und nicht nur ein Nischenthema für nach vorne denkende Menschen bleiben.

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15.-16. Oktober 2024
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Titelbild: Unsplash
Text: Thomas Askan Vierich
24. Mai 2024
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